
© Steffi Loos/ddp
94 GRUPPEN TANZTEN: Samba und Kamelle
700 000 Menschen beim Karneval der Kulturen in Berlin
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Berlin - Samba, Salsa, Heimatklänge: Der Karneval der Kulturen ist am Pfingstwochenende wieder von Hunderttausenden in Berlin gefeiert worden. Als Höhepunkt zog am Sonntag traditionell die große Straßenparade mit 72 Wagen und 98 Gruppen durch Kreuzberg und Neukölln. Während Multi-Kulti in den beiden Bezirken ohnehin an der Tagesordnung ist, war es auf den Straßen noch bunter als sonst. 4700 Teilnehmer aus 70 Nationen zogen rund neun Stunden lang an den Schaulustigen vorüber.
Rund 700 000 Menschen feierten nach Schätzungen des Veranstalters an den Straßenrändern mit. Zu den Schaulustigen gehörten auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit und Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (beide SPD). Der 14. Karneval der Kulturen hatte am vergangenen Freitag mit einem Straßenfest begonnen. Am Samstag gingen die Kleinsten beim Kinderkarneval auf die Straße. Am Pfingstmontag sollte der viertägige Karneval mit einem Musik- und Straßenfest bis in die Abendstunden zu Ende gehen. Erwartet wurden insgesamt 1,3 Millionen Besucher.
Nadja Mau vom Karnevalbüro in der Berliner Werkstatt der Kulturen zog am Montagmittag eine positive Bilanz. Der Karneval sei sehr schön gewesen, der Umzug künstlerisch anspruchsvoll. „Es gab sehr viele gelungene Dekorationen.“ Am Montag wurden zudem die Preise für die besten Darbietungen verliehen: Je 750 Euro bekommen nach Veranstalterangaben eine Prager Künstlergruppe („Hura Echt Street Puppets“) und eine Truppe, die die Jury mit Rhythmen aus Uruguay überzeugte („Serenata Lubola“). Zwei Berliner Kinder- und Jugendgruppen („Kidz 44 – Wir sind Neukölln“ und „Berliner Großfiguren“) erhielten je 500 Euro.
Die Zuschauer der Straßenparade kamen mit Perücken, Fußballschals und Trachten aus dem Schwarzwald und Afrika – oder in Zivil. Dafür hatte sich Kerstin Handke mit ihrem Lebensgefährten Frank Reißmann und dessen Sohn Leon entschieden. Am Hermannplatz tanzte Reißmann mit seinem Neunjährigen auf den Schultern. „Wir finden es super hier“, meinte er. „Mir gefällt die Vielfalt der Menschen“, sagte Handke.
Bei den Zuschauern kam die beste Stimmung auf, je mehr Rhythmus die Musiker ihren Instrumenten entlockten - egal, ob es Trommeln oder Alphörner waren. Tänzer warfen Konfetti und Kamelle in die Menge, manche Gruppen übten – ganz nach dem Vorbild des rheinischen Karnevals – mit ihren Wagen und Motiven Kritik an einem „entfesselten Kapitalismus“, machten auf den Klimawandel aufmerksam und warben für Vielfalt und Toleranz. Nach Veranstalterangaben hatten sich in diesem Jahr elf neue Gruppen angemeldet.
Wegen eines Zwischenfalls musste die Parade an einer Stelle kurzzeitig gestoppt werden. Nach Polizeiangaben lösten Beamte eine Sitzblockade von zwölf Menschen auf, die nicht zu dem Umzug gehörten.
Nach Veranstalterangaben hatten sich die Zwölf dagegen zuvor einer Teilnehmergruppe angeschlossen. Die zwölfköpfige Gruppe forderte auf einem Transparent unter anderem: „Rassistisch Verfolgte sind keine Touristen“. Offensichtlich machte die Gruppe darauf aufmerksam, dass mehrere Dutzend Roma aus Rumänien im Laufe der Woche einen Teil des Bethanien-Hauses in Kreuzberg und später eine Kirche besetzt hatten. Nach einem Ringen um eine Bleibe waren sie dann in ein Spandauer Asylbewerberheim gezogen.
Bei dem Karneval der Kulturen wird das Miteinander von Menschen aller Hautfarben und Nationalitäten gefeiert - und das lockt selbst die Berliner, bei denen der aus dem Rheinland importierte Karneval im Februar nicht so hoch im Kurs steht, zum Feiern auf die Straßen.
94 Gruppen aus 70 Nationen trommelten und tanzten.
Der schrägste Vogel
Was waren die Kostüme prächtig, bunt und einfallsreich. Doch wer tauchte da plötzlich zwischen die vorderen Wagen auf? Ein Mann mittleren Alters, offensichtlich ein geborener Entertainer, hat sein Fahrrad komplett in Blätter gehüllt. Gefährt abgestellt, vor den Leuten getanzt, Fratzen gemacht – und schnell wieder weg. „So was muss beim Karneval der Kulturen auch möglich sein“, sagt Organisatorin Mau. „Den haben alle gerne toleriert.“
Das gruseligste Kostüm
Ein richtiges Kostüm ist es zwar nicht, aber innen sitzen ja Menschen von „Hura Echt Street Puppets“ und steuern einen riesigen Totenkopf. Die blauen Augen stieren in die Menge, die riesigen Skeletthände winken. Nahezu majestätisch rollt er an den Zuschauern vorbei. Botschaft: Die Kürze des Lebens.
Leticia Witte
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