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Brandenburg: Schienen ohne Schutz

Nach Brandanschlag auf die S-Bahn macht sich die Polizei keine Illusionen: Verhindern lässt sich das kaum

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Berlin - Auch am zweiten Tag nach dem Brandanschlag auf die S-Bahn mussten Tausende Berliner Verzögerungen und Umleitungen bei ihrem Weg durch die Stadt in Kauf nehmen. Quer durch alle Parteien wurde der Anschlag vom Donnerstagmorgen verurteilt, zu dem sich eine linksradikale Gruppe bekannt hatte. „Das ist ein Anschlag auf unser Zusammenleben, der Berlin offensichtlich gezielt schaden und verunsichern soll“, sagte Innensenator Frank Henkel. „Die linksautonome Szene will die Innenstadt terrorisieren und tyrannisieren“, sagte der SPD-Innenpolitiker Tom Schreiber, Sprecher für Verfassungsschutz in seiner Fraktion.

Berlin solle sich nicht von denen einschüchtern lassen, die sich auf den anhaltenden Flüchtlingsprotest berufen, um ihre Gewaltfantasien auszuleben, forderte Henkel. Schreiber sagte, die Szene missbrauche wiederholt Themen wie den Flüchtlingsprotest, um für einen Systemwechsel zu kämpfen. Er fordert „keine falschen Scheuklappen gegenüber Linksterroristen. Es ist wichtig, dagegen jetzt vorzugehen.“ Die Brandstifter waren wie berichtet in der Morgendämmerung gekommen, kurz vorm Einsetzen des Berufsverkehrs. Nur eine „handelsübliche Menge Benzin, gepaart mit zwei Zeitzündern“, so das Bekennerschreiben, hatten die Täter dabei. Sie kletterten an der Elsenbrücke über einen Gitterzaun und standen dann auf den S-Bahngleisen zwischen den Bahnhöfen Treptower Park und Ostkreuz. Dann hoben sie eine Betonplatte von einem Kabelschacht und legten Feuer. Ein Signalkabel ging in Flammen auf, ein Stellwerk fiel aus, Berlin versank im S-Bahnchaos. Die Täter hatten leichtes Spiel – genau wie ihre Vorgänger, die im Mai 2012 an exakt der gleichen Stelle schon einmal einen Brandanschlag verübt hatten. Damals kam es tagelang zu Zugausfällen.

Damals wie heute scheinen die Täter aus der linksextremen Szene zu stammen. Der Brand selbst war nicht sehr aufsehenerregend: Gegen 4 Uhr ging ein Notruf bei der Polizei ein, gegen 4.35 Uhr waren die Flammen gelöscht. Unter den Folgen aber haben Zehntausende Berliner zu leiden – nach Angaben der S-Bahn noch mindestens bis Sonntagvormittag: Die Ringbahn ist zwischen Ostkreuz und Südkreuz unterbrochen, auch die Linien S 8, S 85 und S 9 fahren nur auf Teilabschnitten. Dreißig Busse sind im Schienenersatzverkehr unterwegs, um die Zugausfälle teilweise wettzumachen. Maximale Konfusion bei minimalem Aufwand – die Brandstifter haben ihr Ziel erreicht. Der Unmut der zahlenden Kundschaft ist groß.

Denn in dem im Netz veröffentlichten Bekennerschreiben nennen sie die „einfachen Bürger*innen Berlins und Brandenburgs“ als Ziele des Anschlags. „Diese sind es, die getroffen werden sollten“, schreiben die Verfasser, die sich als „Autonome Gruppen“ bezeichnen. Anlass des Anschlags sind offenbar die Flüchtlingsproteste in Friedrichshain; das Schreiben nimmt direkten Bezug auf die Situation in der Gürtelstraße. Dort sitzen seit Dienstag neun Flüchtlinge auf einem Dach, um die erneute Überprüfung ihrer Asylbegehren in Berlin zu erzwingen. Was die Flüchtlingspolitik des Berliner Senats mit dem öffentlichen Nahverkehr zu tun hat, bleibt Geheimnis der Brandstifter. Offen ist nach wie vor, ob das Schreiben tatsächlich von den Tätern oder von einem Trittbrettfahrer verfasst wurde – die Polizei geht in jedem Fall von einer politisch motivierten Tat aus, der Staatsschutz ermittelt. Ob die Fahnder das Bekennerschreiben als echt einstufen, war am Freitag nicht in Erfahrung zu bringen: „Wir äußern uns nicht zu laufenden Ermittlungen.“

S-Bahn und Bundespolizei machen sich keine Illusionen: Ein Anschlag wie der vom Donnerstag kann jederzeit wieder verübt werden. „Wir haben allein bei der S-Bahn in Berlin 330 Kilometer Streckennetz und 166 Bahnhöfe abzudecken,“ sagt Bundespolizeisprecher Meik Gauer, „eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung sämtlicher Streckenabschnitte ist schlichtweg nicht möglich.“

Zwar sind die S-Bahnstrecken in der Innenstadt an vielen Stellen mit Zäunen geschützt, auch ist das Betreten der Bahnanlagen nicht nur gefährlich, sondern auch bei Strafe verboten. Trotzdem: Wer ausreichend kriminelle Energie mitbringt und nicht zurückscheut, sich in Lebensgefahr zu bringen, schafft es meist auch auf die Gleise. „Auch wenn alle Strecken mit Zäunen geschützt wären – unüberwindbar sind die nicht,“ sagt Gauer. Die Kabeldiebe, die entlang der S-Bahnstrecken auf die Jagd nach Metall gehen, lassen sich von Zäunen und Schildern ebensowenig abschrecken wie manche Kinder: Erst vor wenigen Tagen zwangen zwei 13-jährige Mädchen eine S-Bahn der Linie 25 zwischen Tegel und Schulzendorf zur Notbremsung. Sie waren ins Gleisbett geklettert, um Schnappschüsse zu machen.

Auch die Streifen der Bundespolizei und des bahninternen Sicherheitsdienstes DB Sicherheit sowie ein nicht näher präzisiertes „Portfolio von Maßnahmen an gefährlichen Streckenabschnitten“, wie es bei der Bahn heißt, können nicht für hundertprozentigen Schutz garantieren. „Es gibt keine hermetische Absicherung der Bahnstrecken. Sabotage kann niemals völlig ausgeschlossen werden,“ sagt Bahnsprecher Ingo Priegnitz.

Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB Wieseke vergleicht die Bahnanlagen mit einer Autobahn – auch hier werde nicht auf ganzer Strecke, sondern nur an gefährlichen Stellen eingezäunt. Timo Kather

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