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Brandenburg: Schläge und Tritte bis zur Bewusstlosigkeit

Angeklagte sollen ihr Opfer dreimal in einer Nacht attackiert haben

Von Frank Jansen

Neuruppin. Karsten B. wirkt nervös. Der Mann im Cowboy-Dress rutscht auf seinem Stuhl hin und her, gerät ins Stottern – und meidet den Blick nach rechts. Da sitzen fünf junge, kurzhaarige oder kahlköpfige Männer und eine blondierte Frau, zusammen mit ihren Anwältinnen und Anwälten. Dass Karsten B. gestern im Saal 2 des Landgerichts Neuruppin mulmig ist, verwundert nicht: Von den sechs Angeklagten haben ihn zumindest einige, vermutlich sogar alle, brutal attackiert. „Ick hab’ Tritte und Schläge gekriegt, ick kann nich’ sagen, wie viel – ick hab’ die Hände überm Kopp zusammengenommen“, sagt der 40-Jährige laut und hektisch. Richterin Ria Becher fragt, „ging es dann mit den Tritten und Schlägen weiter?“. Karsten B. zuckt mit dem Kopf, „weeß ick nich’“. Dreimal hintereinander ist B. in der Nacht zum 16. August 2003 nahe dem Ort Glöwen (Prignitz) von Mitgliedern der Clique überfallen worden. Bei dem zweiten Angriff verlor er das Bewusstsein. Die dritte Attacke hat der arbeitslose Dachdecker nur knapp überlebt.

Am zweiten Tag im Prozess gegen die Sechser-Clique aus einem dumpf-bräunlichen und ziemlich schlagwütigen Milieu sagt Karsten B. als erster Zeuge aus. Die Angeklagten sehen das Opfer die meiste Zeit ungerührt an. Nur Nicole nutzt die Gelegenheit, eine Entschuldigung zu versuchen. Die 19-Jährige steht auf und blickt verlegen, „ick wollte bloß nochmal sagen, dass es mir Leid tut und ick nich’ wollte, dass es soweit kommt, joo.“ Nicole K. setzt sich wieder. Karsten B. reagiert nicht. Nach seiner Erinnerung hat ihm die junge Frau ins Gesicht und in den Rücken getreten. Sie habe ihm auch „’ne Flasche übern Kopp gezogen“, sagt Karsten B. Dies sieht die Staatsanwaltschaft etwas anders. Der bullige Skinhead Enrico B. soll eine Bierflasche auf dem Kopf des Opfers zerschlagen haben. Enrico B. soll laut Anklage auch am heftigsten zugetreten haben. Er ist der einzige aus der Clique, dem die Staatsanwaltschaft versuchten Totschlag vorwirft. Bei den anderen Angeklagten ist es „nur“ gefährliche Körperverletzung. Obwohl Karsten B. nach den drei Überfällen in Lebensgefahr schwebte und die beidseitige Mittelgesichtsfraktur bis heute nicht ausgeheilt ist.

Am gestrigen Verhandlungstag bekommen die Angeklagten auch zu hören, wie Karsten B. immer noch leidet. „Ick hatte mehrere Male ’n Blackout“, sagt B., „ick weeß dann nich’, wo ick gewesen bin.“ Er berichtet auch von häufigen Sehstörungen, „ick hab’ so Doppelbilder“, und dass er seit jener Nacht stottere. In einer Prozesspause sagt B., die Ärzte hätten ihm drei Titanplatten, mehrere Zentimeter groß, unter die Gesichtshaut operiert – damit die gebrochenen Knochenpartien wieder zusammenwachsen. Vorsichtig fasst sich Karsten B. an den Schnäuzer. Vor allem die Titanplatte am Oberkiefer bereitet ihm Schmerzen, „det is’ schlimm, ick kann nich’ mal ’n Stück Fleisch abbeißen.“

Diese Tortur wird möglicherweise nicht mehr lange dauern, Anfang März sollen die Platten entfernt werden. Aber B.’s Zukunftsaussichten werden kaum besser. „An Arbeit is’ nich’ zu denken“, sagt er, „wer will mich denn haben?“ Mit den Sehstörungen ist sein Beruf als Dachdecker undenkbar. Am Freitag will das Gericht das Urteil verkünden.

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