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Brandenburg: Schlechter Verlierer

Die IHK Potsdam unterliegt im Rennen um eine Beratertätigkeit für die Stadt Brandenburg – und tritt nach. In der Stadtverwaltung ist man irritiert

Stand:

Brandenburg/Havel - Die Stadt Brandenburg will wirtschaftlich besser werden – und die Hilfe soll aus Hamburg kommen. Zusammen mit den anderen Havelland-Städten Premnitz und Rathenow soll die Region vorangebracht werden, kündigte Brandenburgs Oberbürgermeisterin Dietlind Tiemann (CDU) an. Dass sich endlich etwas tut, hält René Kohl, Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdam, auch für dringend geboten: Die Entwicklung der Stadt sei unbefriedigend, urteilte er jüngst in einer Pressemitteilung. Wenig Verständnis äußerte er aber für die Tatsache, dass sich die Städte die Hamburger Wirtschaftsberater Glücksburg Consulting mit ins Boot geholt haben. Die Entscheidung für ein Unternehmen „ohne regionalen Bezug ist nicht nachvollziebar“, so Kohl. Was er nicht erwähnte: Die IHK hatte sich selbst als Nachunternehmer für ein Büro an der europaweiten Ausschreibung für die Aufgabe beteiligt – erfolglos.

Weiter äußern wollte sich Kohl auf PNN-Nachfrage nicht zu seiner Kritik. In der Stadtverwaltung von Brandenburg sei man dagegen angesichts seiner Vorbehalte gegenüber einer Hamburger Firma erstaunt und fühle sich auch zu Unrecht kritisiert, sagt Bürgermeister und Kämmerer Steffen Scheller (CDU). Glücksburg Consulting sei renommiert. Dort hält man sich mit Kommentaren zurück. „Zur Kritik der IHK wollen wir absolut keine Stellung nehmen“, sagt Unternehmenssprecher Joachim Gutmann. Neben Hamburg sitzen die Wirtschaftsberater bundesweit an 13 weiteren Standorten. Die Koordination werde von einem Mitarbeiter übernommen, der für die Zeit des Projektes in Brandenburg/Havel ein Büro hat.

Dass sich Kammern, die eigentlich die Interessen ihrer Mitgliedsunternehmen vertreten und ihnen nicht – etwa als Beratungsunternehmen – Konkurrenz machen sollen, überhaupt an solchen Ausschreibungen beteiligen, stößt bundesweit zunehmen auf Kritik. „In den Geschäftsfeldern, in denen die Kammern als Konkurrenten auftreten, sind überwiegend kleine Unternehmen und Mittelständler unterwegs", sagte etwa Kai Boeddinghaus, Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands für freie Kammern (BffK) – ein Zusammenschluss von rund 1300 Kammer-Kritikern –, jüngst Spiegel-Online.

Dabei dürfen Kammern, bei denen gewerbliche Unternehmen Zwangsmitglieder sind, gewerblich tätig werden. Sie sollen laut Gesetz die regionale Wirtschaft fördern. Das dürfen sie laut Bundesverband DIHK selbst oder mit eigens geschaffenen Einrichtungen. Allerdings müssen die Kammern zwischen den Vorteilen ihres eigenen Tuns für die Wirtschaft der Region und den Interessen der ihr angehörigen Unternehmen – etwa Beratungsfirmen – abwägen. Kammerkritiker Boeddinghaus verlangte auf Spiegel-Online: „Diejenigen, die sich durch solche Aktivitäten benachteiligt fühlen, sollten zumindest aus der Kammer austreten können.“

In Brandenburg/Havel hat man auch sonst Probleme mit der IHK in Potsdam: Deren Kritik an der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt hält Kämmerer Scheller für überzogen: „Ich bin schon dafür, dass man die Dinge umfassend und nicht nur ausschnittsweise betrachtet.“

Potsdams IHK-Chef Kohl hatte vor dem prognostizierten Bevölkerungsrückgang der Stadt bis 2030 um knapp ein Drittel gewarnt, der Stadt angekreidet, im Kammerbezirk beim Bruttoinlandsprodukt den vorletzten Platz zu belegen. Zudem sei die Exportquote auf 0,6 Prozent geschrumpft.

Scheller hält dem entgegen, dass berücksichtigt werden müsse, dass große Industrieunternehmen wie ZF Getriebe oder Heidelberger Druck in Brandenburg Komponenten für Exportartikel herstellen, die aber letztlich in die Außenwirtschaftsbilanzen anderer Unternehmen wie etwa BMW einfließen. Außerdem sei die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse zuletzt gestiegen. „Bei der Arbeitsplatzdichte hat sich ganz schön was getan. Früher hatten wir gerade einmal 200 Einpendler mehr als Auspendler. Heute sind es 2000“, sagt Scheller.

Auch von externer Seite gab es Zuspruch. Seit 2005 ist Brandenburg/Havel einer von insgesamt 15 Regionalen Wachstumskernen (RWK) in Brandenburg. Vor zwei Jahren hatte die Landesregierung die einzelnen RWK evaluieren lassen. Die Stadt weise die „zweithöchste Entwicklungsdynamik“ außerhalb des Berliner Umlandes auf und Investitionen lägen über dem märkischen Durchschnitt, urteilte das Schweizer Beratungsunternehmen Ernst Basler & Partner.

Kämmerer Scheller streitet nicht ab, dass noch viel zu tun ist. So liege die Arbeitslosenquote derzeit bei 13 Prozent. Im gut 40 Kilometer entfernten Nauen, ebenfalls im Havelland, aber nahe Berlin, sind es gerade einmal sieben Prozent. Der Landesschnitt lag im November bei 9,3 Prozent. Es dürfe aber nicht vergessen werden, dass die Stadt besonders unter dem Zusammenbruch der DDR gelitten habe und die alte Stahlstadt sich erheblich wandeln musste. Scheller: „Von den 13 Prozent Arbeitslosen sind elf Prozent Langzeitarbeitslose, ein Viertel davon ist älter als 50 Jahre.“ Ein Großteil derer über Qualifizierung wieder für den Arbeitsmarkt zu gewinnen, ist eine Aufgabe, die Brandenburg mit Premnitz, Rathenow und den Hamburger Beratern lösen will. Zudem sollen die überregionale Vermarktung und das Gewerbeflächenmanagement verbessert werden.

IHK-Chef Kohl hat bereits angekündigt, dies kritisch zu beobachten: „Wir werden darauf achten, dass keine parallele Arbeit geleistet wird, sondern dass man dort aktiv wird, wo tatsächlich Nachholbedarf besteht.“ Schließlich sei bereits „überdurchschnittlich viel öffentliches Geld“ in die Stadt gepumpt worden. „Da muss sich Brandenburg an der Havel künftig vermehrt auf die eigenen Kräfte besinnen, anstelle wiederholt auf fremde finanzielle Hilfe zu setzen“, sagt Kohl. Matthias Matern (mit pet)

Matthias Matern (mit pet)

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