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Brandenburg: Schönbohm allein mit seinen Thesen

Nur eine Minderheit der Berliner und Brandenburger teilt die Argumentation des CDU-Politikers zur „Proletarisierung“

Nur eine Minderheit der Berliner und Brandenburger teilt die Argumentation des CDU-Politikers zur „Proletarisierung“ Potsdam/Berlin - Mit seiner These, dass die Gewaltbereitschaft im Osten vorwiegend auf das SED-Regime zurückgeht, steht Brandenburgs Innenminister und CDU–Chef Jörg Schönbohm ziemlich allein da – nicht nur in Brandenburg. Laut der infratest-dimap Umfrage im Auftrag der PNN und des Tagesspiegel teilt nur eine kleine Minderheit der Berliner – im Ost- und auch im Westteil der Stadt – die im Zusammenhang mit den Frankfurter Babymorden geäußerte These zur „Proletarisierung“ eines Teils der Brandenburger durch das SED-Regime des früheren Berliner Innensenators Schönbohm . Nur sieben Prozent der Berliner sehen die hauptsächlichen Ursachen für die Gewalt in Ostdeutschland im DDR-System begründet. Selbst im Westteil der Stadt folgen nur neun Prozent der Ansicht Schönbohms, im Ostteil sind es nur zwei Prozent. Ähnliche Werte gelten nach Auskunft von Experten auch für Brandenburg. Schönbohm zeigte sich gestern beim Redaktionsbesuch bei den PNN von dem Umfrage-Ergebnis nicht überrascht: „Die ablehnenden Reaktionen auf die von mir aufgestellte Vermutung haben gezeigt, dass die Bürger es anders sehen.“ Dies werde jetzt durch die Umfrage-Ergebnisse bestätigt. Als Hauptgrund für die erhöhte Gewaltbereitschaft in den neuen Ländern sehen sieben von zehn Berlinern – eine Mehrheit von 69 Prozent – die „aktuellen sozialen Probleme im Osten“. Im Ostteil vertreten 76 Prozent diese Ansicht, im Westteil 65. Die „Verunsicherung unmittelbar nach der Wende von 1989“ machen 14 Prozent der Berliner (zwölf Prozent im Osten und 15 Prozent im Westen) für die auffällige Häufung von Gewalttaten in den neuen Ländern verantwortlich. An der Umfrage fällt auf, dass nur relativ wenige Westberliner (neun Prozent) die Spätfolgen der SED-Diktatur für die Gewaltbereitschaft in den neuen Ländern verantwortlich machen. Wichtiger als die Ursachendebatte ist für Schönbohm jetzt, „dass wir diskutieren, wie wir diesen unerfreulichen Tendenzen endlich Herr werden“. Denn es sei bedauerlicherweise eine Tatsache, dass Gewaltkriminalität in Ostdeutschland, insbesondere in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, höher sei als in vergleichbaren westdeutschen Flächenländern und es Verwahrlosungstendenzen gebe. Tatsächlich sind nach der jährlichen Kriminalitätsstatistik von Bund und Ländern die Fallzahlen von Straftaten in Thüringen und Sachsen niedriger als in Brandenburg. „Es wäre falsch, über all das zu schweigen, wir müssen die Probleme anpacken“, sagte Brandenburgs Innenminister. „Diese Debatte ist notwendig.“ Ihn treibe die spürbare Gleichgültigkeit um. Es komme immer wieder vor, dass auch schwerste Gewalttaten nicht bemerkt würden, weil weggeschaut werde. Darüber sei etwa im Zusammenhang mit Übergriffen von Rechtsradikalen schon lange geredet worden, ohne dass etwas wirksam passiert ist. Schönbohm regte auch wissenschaftliche Untersuchungen – etwa über Stiftungen – zu diesem noch ungenügend erforschten Thema an. Schönbohms These hat bundesweit heftige Kontroversen ausgelöst. Während es bei den Ostdeutschen fast einhellige Empörung gab, bekam der CDU-Landeschef aus dem Westen und von Wissenschaftlern durchaus auch Zustimmung. Vor allem wird die Notwendigkeit der Debatte von der Wissenschaft nicht bestritten. Und auch in der Politik ist im Zuge der aktuellen Debatte die Sensibilität für das Gewalt- und Verwahrlosungsproblem gewachsen.

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