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Brandenburg: Schrecken der Schwarzarbeiter

Weil sie sich vom Staat im Stich gelassen fühlt, lässt die regionale Bauwirtschaft sechs „Baustellenläufer“ in Berlin und Brandenburg illegale Beschäftigte aufspüren / Experten fordern fälschungssichere Papiere

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Berlin - Ein bisschen Angst ist immer dabei, wenn Helmut Klein* seinen Wagen in Sichtweite einer Baustelle parkt. Schließlich ist er nicht so beliebt, man könnte sagen: viele hassen ihn. Denn er ist Denunziant von Berufs wegen – als sogenannter Baustellenläufer. Klein ist einer von sechs in Berlin und Brandenburg, die auf Initiative der Fachgemeinschaft Bau der beiden Länder eingestellt wurden. Gerade erst wieder hat der Verband, der die Interessen von kleinen und mittelständischen regionalen Baubetrieben vertritt, zwei Beobachter in den Kampf gegen Schwarzarbeit geschickt. Im Stadtgebiet von Potsdam arbeiten die neuen, vom Arbeitsamt bezahlten Observateure.

Kleins Revier ist Berlin. Er kennt sich aus, weiß, wo die Baugerüste stehen. Das Wichtigste bei seiner Arbeit: „Nicht auffallen“, sagt Klein. Ansonsten kann es haarig werden. Das hat er schon am eigenen Leib gespürt, als ein Eimer Farbe von der Rüstung geflogen kam und dicht neben ihm zerbarst. Klein kam mit dem Schrecken davon. „Mein Auto und meine Kleidung waren aber von oben bis unten besudelt“, erzählt er. Fotografieren lassen möchte er sich daher auch nicht.

Die sechs Männer, die undercover in Berlin und Brandenburg unterwegs sind, stammen alle selbst vom Bau und sind einem Bericht des Bundesrechnungshofes zufolge „wegen ihrer Milieukenntnisse“ besonders erfolgreich.

Normalerweise ist die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls zuständig. Doch wenn diese Kontrolleure auf die Baustelle kommen, seien „viele der Schwarzarbeiter schon geflitzt“, erklärt Wolf-Burkhard Wenkel, Geschäftsführer des Verbandes. Der Rest, der keine Papiere vorweisen kann, habe eine Reihe von Ausreden parat, sagt Wenkel: „,Ich habe einen Minijob“, oder: ,Ich bin heute zum ersten Mal hier““, zitiert Wenkel die beliebtesten Ausflüchte. Wo der Zoll dann machtlos ist oder ein gigantischer Kontrollmechanismus in Gang kommt, haben die Baustellenläufer die Beweise schon in der Tasche. „Ausreden ziehen natürlich nicht mehr, wenn unsere Leute langfristige Beobachtungen vorzeigen.“ Uhrzeit und Datum stehen am unteren Bildrand jeder Fotografie.

539 Baustellen nahmen allein die zwei Berliner Beobachter im Jahr 2007 unter die Lupe. „Trefferquote fast 100 Prozent“, bilanziert Wenkel. Damit hat die FG Bau im Auftrag ihrer Mitgliedsbetriebe Selbsthilfe geleistet, aber auch der Politik ein Stück Unfähigkeit attestiert.

Schon 2002 hatten Bauverbände vom damaligen Wirtschaftsminister Wolfgang Clement mehr Initiative gegen Schwarzarbeit gefordert, sagt Kai Wegner, CDU-Bundestagsabgeordneter und Experte beim Thema Schwarzarbeit. Eine elektronische Chipkarte sollte her. Für das Projekt ist Wegner zufolge sogar Geld eingestellt worden. Berlin-Brandenburg war als Modellregion vorgesehen. Passiert sei seitdem nichts, bemängelt Wegner.

Solch eine Modellregion müsse erst vom Bundesfinanzministerium beschlossen werden, heißt es aus der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales. „Wir stehen dem aber aufgeschlossen gegenüber“, sagt Senatorin Heidi Knake-Werner (Linke).

Eine Arbeitsgruppe des Finanz- und Arbeitsministeriums empfiehlt nun die Mitführungspflicht für Ausweisdokumente. Was daran neu sein soll, kann sich Wegner nicht erklären. Die Schätzungen zu den Entwicklungskosten einer Chipkarte variieren: Befürworter rechnen mit 10 Millionen, Gegner befürchten 200 Millionen Euro allein in der Anlaufphase. Für Wegner geht die Rechnung im Vergleich mit dem Schaden auf, den Schwarzarbeit in Deutschland verursacht: Das Institut für angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen schätzt den Wert auf 364 Milliarden Euro pro Jahr – das sind mehr als 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes.

Geschäftsführer Wenkel von der FG Bau wagt eine Spekulation: „Man kommt langsam nicht mehr umhin zu glauben, dass Schwarzarbeit gewollt ist.“ Er wolle keine Namen nennen, aber „große Autokonzerne profitieren nun mal davon, wenn die Leute mehr Geld in der Tasche haben“.

Elektronisch oder nicht: Die Zollabteilung Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) wünsche sich ein „einfaches, fälschungssicheres System“, sagt Michael Kulus, Sprecher beim Hauptzollamt Berlin. Der rosafarbene Sozialversicherungsausweis sei leicht kopierbar. „Das Bild kann man austauschen, viele Bauleute haben gar keins mehr in ihrem Ausweis.“ 19 000 Personen quer durch alle Branchen haben die rund 250 Berliner FKS-Beamten 2006 überprüft. „Daraus ergaben sich 3263 Prüfungen bei den Arbeitgebern“, sagt Kulus.

Bei ausländischen Arbeitern ohne Papiere ist es laut Kulus am kompliziertesten. Der Behördenabgleich sei eine Sisyphusarbeit. Die Zusammenarbeit mit der FG Bau wollen die Kontrolleure vom Hauptzollamt deswegen nicht mehr missen. „Wir sind froh über so gut recherchierte Anzeigen.“

Das nicht ohne Grund: Denn ohne die Fachgemeinschaft Bau und ihre Baustellenläufer sähe die FKS nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes ziemlich alt aus. In einem Prüfbericht zur Bekämpfung der Schwarzarbeit durch die FKS waren die obersten Rechnungsprüfer der Nation erst im Februar zum Ergebnis gekommen, dass die FKS fast nur im Innendienst prüft – sprich Formulare und Daten abgleicht. Lediglich dort, wo sie sich mit der regionalen Wirtschaft in Bündnissen zusammenschließe und aktiv zusammenarbeite, gebe es eine effektive Bekämpfung der Schwarzarbeit.

Ausdrücklich als positives Beispiel führten die Rechnungsprüfer das Bündnis mit der Fachgemeinschaft Bau Berlin-Brandenburg auf: „Die Tätigkeit der von den Verbänden eingesetzten Baustellenläufer im Raum Berlin-Brandenburg zeigt, dass aufgrund von Milieukenntnissen qualifizierte Hinweise auf Schwarzarbeitsfälle geliefert werden können“, heißt es im Bericht. Doch: Nun müssten Bundesfinanzministerium und FKS nur noch „in die Pflicht genommen“ werden, „Rechenschaft darüber abzulegen, in welchem Umfang und mit welchen Ergebnissen sie Bündnisbeiträge der Partner konkret zur Schwarzarbeitsbekämpfung“ einsetzten. Denn bisher, so die Rechnungsprüfer, geben die Bündnispartner zwar ihre auf eigene Kosten ermittelten Hinweise weiter, erhalten vom Staat aber keine Rückmeldung.

So weiß auch Helmut Klein nicht, wie viele Schwarzarbeiter er schon „angeschmiert“ oder wie viel Geld er dem Fiskus gespart hat. An der Baustelle in Charlottenburg, wo inzwischen Feierabendstimmung herrscht, die Arbeiter die Einrüstung verlassen, hat er an diesem Tag fünf Kandidaten fotografiert und dokumentiert. Eines aber weiß er: Solange es keine Chipkarte gibt, ist sein Arbeitsplatz sicher.

* Name geändert

Andreas Wilhelm

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