Brandenburg: Schulweg nicht länger als 1 Stunde
PNN-Interview mit Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche (SPD)
Stand:
PNN-Interview mit Brandenburgs Bildungsminister Steffen Reiche (SPD) In wenigen Tagen endet in Brandenburg die Frist für die Anmeldung der Sechstklässler an den weiterführenden Schulen. Davon wird abhängen, welche Gesamtschulen, Realschulen und Gymnasien geschlossen werden. Droht ein Hauen und Stechen? Ich hoffe nicht, habe aber einige Sorge. Der Jahrgang 1992, mit den wenigsten Kindern seit der Wende, erreicht in diesem Jahr die weiterführenden Schulen. Wechselten noch vor zwei Jahren 31 000 Grundschüler in die 7. Klassen, sind es jetzt nur noch 16 900. Die Eltern – und das ist gut – haben mehr als je zuvor die Chance, ihr Kind auf die gewünschte Schule zu schicken. Aber das hat zwangsläufig einen harten Wettbewerb der Schulstandorte zur Folge. Wo die Anmeldezahlen nicht reichen, werden Schulen auslaufen. Es sei denn, der Widerstand ist stark genug wie jetzt in Oranienburg. Dort wurde die Schließung des Runge-Gymnasiums abgewendet. Ein Präzedenzfall für das Land? Der Landkreis wollte ein ausbalanciertes Konzept zwischen den Orten und Schulformen durchsetzen, hat aber im Kreistag keine Mehrheit gefunden. Da es nicht mehr Kinder gibt, ist der Erhalt eines zusätzlichen Gymnasiums objektiv eine Entscheidung zu Lasten der Gesamtschulen mit gymnasialer Oberstufe und der Oberstufenzentren. Im Kreistag kämpfte die PDS – mit der bildungspolitischen Sprecherin der Landtagsfraktion Gerrit Große – für den Erhalt des Runge-Gymnasiums. Die Brandenburger PDS hat in Oranienburg ihre bildungspolitische Unschuld verloren. Man kann nicht so tun, als ob man sich für eine möglichst zehnjährige gemeinsame Schule für alle einsetzt: Und wenn es ernst wird, tritt die PDS dafür ein, dass möglichst viele Siebentklässler Gymnasien besuchen – zu Lasten von Gesamtschulen. Auch Ihr zweiter bisheriger Bündnispartner für eine zehnjährige allgemein bildende Schule in Brandenburg kommt Ihnen gerade abhanden: Brandenburgs GEW-Landesvorsitzender Günter Fuchs kämpft als Elternsprecher derzeit gegen die geplante Schließung des Potsdamer Espengrund-Gymnasiums. Enttäuscht Sie das? Ja. Mich hat überrascht, dass es eine solche Differenz zwischen den Positionen des GEW-Vorsitzenden und des Elternsprechers Fuchs gibt. In den dünn besiedelten berlinfernen Regionen werden die Schulschließungen zu längeren Schulwegen führen. Ist das für Kinder überhaupt noch zumutbar? Es ist ein Dilemma. Aber man muss wissen, dass die Einwohnerzahl in der Prignitz inzwischen auf den Stand von 1890 zurückgefallen ist, die Prignitz nach UN-Kriterien als „unbesiedelt“ gilt. Trotzdem kann es bei kluger Organisation gelingen, dass Kinder auch in Zukunft nicht länger als eine Stunde mit dem Schulbus zur Schule fahren müssen. Das ist auch jetzt bereits Alltag, ohne dass es darüber Klagen gibt. Im ländlichen Raum ist man leider heute schon an lange Schulwege gewöhnt. Nur, dass die Eltern dafür jetzt auch noch tiefer in die Tasche greifen sollen. Ich hoffe noch, dass es gelingt, ein Schülerticket einzuführen. Um die Situation zu entschärfen, plant der Prignitzer CDU-Landrat Hans Lange kleinere Gymnasien mit nur zwei Klassen je Jahrgang. Ist das eine Lösung? Das ist möglich, um Standorte zu erhalten. Aber es hat einen gravierenden Nachteil. Gerade weiterführende Schulen dürfen nicht zu klein sein, weil sonst die Qualität leidet. Und die sollte in der Prignitz auch künftig vergleichbar sein wie in Potsdam. Hinzu kommt: Wenn der Landkreis tatsächlich kein dreizügiges Gymnasium organisiert, sondern zweizügige Gymnasien – wird es auch keine Leistungsprofilklassen mehr geben. Mich überrascht, dass der CDU-regierte Landkreis der erste ist, in dem man das von der CDU besonders favorisierte Modell „Vier plus Acht“ zum Abitur aufgeben will. Warum richtet Brandenburg nicht Internatsschulen wie in Schweden ein? Die Kreise haben diese Möglichkeit. Allerdings sind Internatsschulen teurer als der Schulbus. Trotzdem gibt es die ersten wie die Reitgesamtschule in Neustadt/Dosse. Mein Plädoyer ist ein anderes: Die Lösung für die berlinfernen Regionen wäre, wenn es wie in Sachsen oder Thüringen neben Gymnasien künftig nur noch eine weiterführende Schule gäbe, statt bisher Realschulen und Gesamtschulen. Ich hoffe, dass die Einsicht bei der märkischen CDU wächst, nach der Landtagswahl dieses Unionsmodell auch in Brandenburg umzusetzen. Stattdessen nimmt die Union mit Blick auf den Landtagswahlkampf Ihre Bildungspolitik ins Visier. Mich wundern da manche Töne. Bildungspolitik, die schließlich seit 1999 gemeinsam mit der CDU verantwortet wird, ist ein Mega-Thema, aber kein Meckerthema. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Union den gemeinsamen Erfolg im Wahlkampf kleinredet. Warum bietet die SPD, deren Vorsitzender Sie einmal waren, da nicht stärker Paroli? Die Brandenburger wollen keinen Streit. Wenn der Koalitionspartner auf den Baum klettert und wir ihn weiter hochjagen, hilft das keinem, weil er dann runter fällt. Deshalb ist die Strategie der SPD richtig, sich ruhig am Boden zu halten. Ich hoffe, die CDU findet den Weg zu den Realitäten zurück. Das Interview führte Thorsten Metzner.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: