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Geduckt. Noch befindet sich das evangelische Gemeindezentrum in Neuberesinchen im Schatten der Plattenbauten.

© Patrick Pleul/dpa

Brandenburg: Sechs Zimmer zwischen Grün und Platte Das evangelische Gemeindezentrum in Frankfurt/Neuberesinchen steht in einem verschwindenden Viertel

Frankfurt(Oder) - Wenn Kantor Stephan Hardt aus den Fenstern seiner Sechs-Raum-Wohnung am Rande von Frankfurt (Oder) sieht, schaut er ins Grüne. Nur der Blick aus dem Schlafzimmerfenster fällt da etwas aus dem Rahmen.

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Frankfurt(Oder) - Wenn Kantor Stephan Hardt aus den Fenstern seiner Sechs-Raum-Wohnung am Rande von Frankfurt (Oder) sieht, schaut er ins Grüne. Nur der Blick aus dem Schlafzimmerfenster fällt da etwas aus dem Rahmen. Statt in die freie Natur geht der Blick auf die unansehnliche Fassade eines Plattenbau-Würfelhauses, von dessen Balkons die Farbe bereits abblättert. Der Mehrgeschosser steht ziemlich dicht, so als könnten die Bewohner direkt ins Fenster von Familie Hardt greifen. Der Hausherr bleibt jedoch gelassen. „Der Block kommt auch noch weg“, erklärt er seelenruhig. Hat er doch in den vergangenen Jahren miterlebt, wie sein bis dato gewohntes Umfeld nach und nach verschwand.

Vor 13 Jahren war Hardt mit seiner Familie aus Thüringen in die Stadt an der Oder gezogen. Der Kirchenmusiker hatte eine Stelle als Kantor bei der evangelischen Kirchengemeinde angenommen. Mangels geeignetem Wohnraum – wenn auf Instrumenten musiziert wird, geht es erfahrungsgemäß etwas lauter zu – zogen die Neuankömmlinge in ein 140 Quadratmeter großes Quartier im evangelischen Gemeindezentrum inmitten des Frankfurter Plattenbauviertels Neuberesinchen. Der moderne Klinkerbau mit einem von außen nicht sichtbaren Innenhof war ab 1988 gebaut worden – für Westgeld, wie sich der Kirchenälteste Peter Fritsch erinnert, der seinerzeit Bauleiter für das Objekt war.

„Als damals die Devisen in der DDR immer knapper wurden, durfte der Westen ostdeutsche Kirchengemeinden auf diese Weise unterstützen“, erklärt er. In den Plattenbauten von Neuberesinchen lebten damals mehr als 20 000 Menschen, das evangelische Gemeindezentrum mit großem Saal, einem hölzernen Altar sowie einer Orgel und weiteren Büroräumen war daher sinnvoll platziert. Allerdings nur für wenige Jahre. Denn nach der Wende begann die Abwanderung der Plattenbau-Bewohner.

„Wer es sich leisten konnte, suchte sich etwas Besseres zum Wohnen“, so Fritsch. Als Hardts herzogen, war der großflächige Abriss bereits im Gange, das Gemeindezentrum von hohen Plattenbauten jedoch noch regelrecht umzingelt. „Uns machte das nichts aus. Die Wohnung war groß, die Miete preisgünstig und der begrünte Innenhof unser Rückzugsgebiet“, sagt der 46 Jahre alte Kantor.

Allerdings sei es aufgrund der dicht gedrängten Nachbarschaft schon „ziemlich voll“ gewesen. „Weil die Häuser so hoch waren, fiel kaum Licht durch unsere Fenster“, berichtet Tochter Gesine. Sie und ihre zwei Geschwister haben nicht gern in Neuberesinchen gelebt. „Bei den Mitschülern warst du abgestempelt“, sagt die 20-Jährige, die die später frei gezogenen Abriss-Blöcke mit den dunklen Fensterhöhlen noch als „gruselig“ in Erinnerung hat. Auch im Gemeindezentrum wurde es zunehmend leerer – es gab keine Gottesdienste, Christenlehre oder Konfirmandenarbeit mehr, keinen öffentlichen Jugendtreff.

Lediglich ein 14-tägiges Arbeitslosenfrühstück sorgte für etwas Leben im Haus. Der große Saal wurde für Hochzeiten, lautstarke Feiern und Proben der „Devil Dancers“ vermietet. „Wir haben hier schon einiges mitgemacht“, so Kantor Hardt. Das soll sich noch in diesem Jahr ändern. Aktuell laufen Umbauten. Die evangelische Kirchengemeinde hat die Frankfurter Wichern Diakonie als neuen Mieter gewonnen. Sie will eine Tagesstätte für psychisch Kranke im Gemeindezentrum einrichten.

„Wir mussten uns etwas Dauerhaftes einfallen lassen. Aufgeben wollten wir das Zentrum nicht“, sagt der Kirchenälteste. Hardts wissen noch nicht, ob sie bleiben werden – und das hat nichts mit den potenziellen neuen Nachbarn zu tun. Einen Nachteil ihrer grünen Wohnsituation hat die Familie nämlich inzwischen ausgemacht. Die Plattenbauten fungierten gewissermaßen als Schallschutz. Seit sie nicht mehr stehen, hören Hardts vor allem nachts den Verkehrslärm der vielbefahrenen Autobahn 12. „Wir arbeiten viel mit dem Gehör, da sind diese Dauergeräusche ziemlich belastend“, sagt Kirchenmusikerin Heike Hardt.

Eine erneute Bebauung in Neuberesinchen ist aufgrund des Bevölkerungsrückgangs in Frankfurt (Oder) nach Angaben der Stadtverwaltung nicht geplant. Der Fokus des Stadtumbaus liegt auf der Innenstadt.

Jeanette Bederke

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