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Brandenburg: Selbst Gräber schaufeln

Der Bürgermeister einer Gemeinde will Bürokratie bei Bestattungen abbauen und stößt auf Widerstand

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Der Bürgermeister einer Gemeinde will Bürokratie bei Bestattungen abbauen und stößt auf Widerstand Vierlinden - Wer andern eine Grube gräbt, fällt bekanntlich selbst hinein. Davor hat Dirk Illgenstein aber keine Angst, denn für ihn geht es um Gräber. Der Präsident des Brandenburger Landesamtes für Verbraucherschutz, Landwirtschaft und Flurneuordnung in Frankfurt (Oder) ist ehrenamtlich auch Bürgermeister der Großgemeinde Vierlinden südlich von Seelow. Und in dieser Funktion hat er der Bürokratie den Kampf angesagt. Geht es nach Illgenstein und den anderen Gemeindevertretern, können die Bürger der sieben zu Vierlinden gehörenden Dörfer auf den Friedhöfen künftig selbst zu Spaten und Schaufel greifen - ohne die Mithilfe kostspieliger Beerdigungsinstitute. „Nach der Fusion haben wir uns sämtliche Satzungen vorgenommen und sie entrümpelt“, erklärt der Bürgermeister. Die bürokratischen Zwänge im Bestattungswesen gehörten zu den dringendsten Regelungen, die man verändern wollte. Schließlich, so argumentieren die Gemeindevertreter, war es jahrhundertelang Tradition, seine verstorbenen Angehörigen selbst unter die Erde zu bringen. „Ich traue den Bürgern auch heute durchaus zu, dass sie ihre Grube selbst ausheben können“, erklärt Illgenstein. So sieht es auch die neue Friedhofssatzung vor: Die Vierlindener können frei entscheiden, ob sie die Sache selbst in die Hand nehmen oder einem professionellen Bestatter überlassen. Doch so leicht ist der Kampf gegen Bürokratie nicht. Zwar wird die Amtsverwaltung Seelow-Land die Friedhofssatzung nach den Wünschen der Gemeinde in Kraft setzen und im Oktober-Amtsblatt veröffentlichen. Aber: „Die Sache wird nicht funktionieren, weil der einzelne Bürger niemals die notwendigen Auflagen erfüllen kann“, ist sich Ordnungsamtsleiterin Marlies Zachert sicher. Denn das Amt und der Kommunale Schadensausgleich (KSA), die Haftpflichtversicherung der Kommunen, pochen auf die Einhaltung der Unfallverhütungsvorschriften. Diese sehen für das Ausheben eines Grabes eine ganze Liste zu verwendender Ausrüstungsgegenstände und Werkzeuge vor: Laufrostgarnitur, Schalring, Verbaukästen, Beerdigungsbohlen der Güteklasse 1. Diese Utensilien, sagt die Ordnungsamtsleiterin, hätte sich Vierlinden zunächst zulegen und seinen Bürgern dann zur Verfügung stellen müssen. Die Gemeinde lehnte ab, der grabungswillige Bürger muss bei der Amtsverwaltung jedoch eine Vereinbarung unterzeichnen, diese Gerätschaften unbedingt zu verwenden. „Wenn die Grube nicht fachgerecht abgestützt ist, kann Erde nachrutschen und jemanden verschütten“, erklärt Zachert und verweist auf tragische Unfälle bei Schachtungen in der jüngsten Vergangenheit. Immerhin müsse der Sarg in 1,75 Metern Tiefe liegen. Auch in der Amtsverwaltung sind Schalringe und Beerdigungsbohlen nicht zu bekommen, dafür müssen sich die Bürger nach Ansicht der Ordnungsamtsleiterin dann doch an Bestattungsinstitute wenden. „Quatsch“, schüttelt Bürgermeister Illgenstein genervt den Kopf und versichert: „Sowas kann man bei Tiefbaufirmen ausleihen.“ Jetzt will er bei seinen Amtskollegen in Nachbargemeinden für das kostengünstige Grab Marke Eigenbau werben. Gemeinsam lohnt sich unter Umständen die Anschaffung eines Satzes Werkzeuge. „Das ist gar nicht der entscheidende Punkt“, erklärt hingegen der Vorsitzende des Verbandes der Friedhofsverwalter in Berlin und Brandenburg, Olaf Ihlefeldt. „Eine Bestattung sollte in würdevollem Rahmen passieren – dafür braucht man Fachkräfte.“ Das fange beim Waschen und Einkleiden des Toten an, gehe über das Ausschmücken des Sarges und höre beim pietätvollen Transport zum Friedhof noch längst nicht auf. „Von Familien und Freunden des Verstorben ist das praktisch gar nicht zu leisten“, sagt Ihlefeld. Und verlangt eine Grundsatz-Entscheidung des Landes Brandenburg. Bernd Kluge / ddp

Bernd Kluge, ddp

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