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Der Protest lebt. Schüler der Kinderschule Oberhavel haben am Dienstag das Protestcamp auf dem Potsdamer Brauhausberg besetzt. Hier demonstrieren schon seit Mitte Oktober Eltern und Schüler gegen die geplanten Kürzungen im Bildungsetat.

© Manfred Thomas

Brandenburg: Sie bleiben und kämpfen

Um die freien Schulen ihrer Kinder zu retten, schlagen sich Eltern in einem Protestcamp vor dem Landtag die Winternächte um die Ohren

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Potsdam - Mit kleinen Augen tritt Axel Kalhorn vor den Container auf dem Potsdamer Brauhausberg. Der Kampf gegen Bildungskürzungen hat den 43-jährigen Familienvater gezeichnet. Seine Hände sind spröde, seine Stimme heiser. Den Rollkragen hat er bis zum Kinn hochgezogen. Kalhorn verbringt bereits die vierte Woche im Protestcamp der freien Schulen in Sichtweite des Landtags. Nacht für Nacht wacht er über das Lager. An die Kälte habe er sich gewöhnt. Schlimmer seien Regen und Straßenlärm. Kalhorn vermisst seine Kinder, das gemeinsame Frühstück. „Das Camp zerrt an den Nerven“, sagt Kalhorn. Trotzdem bleibt er, um für die Schule der Kinder zu kämpfen.

Frieren für die freien Schulen. Axel Kalhorn und viele andere Eltern, die ihre Kinder nicht auf eine staatliche Schule schicken, haben sich daran gewöhnt. Aus Protest gegen die vom Land geplanten Kürzungen im Bildungsbereich haben sie Mitte Oktober das „Bildungscamp“ aufgebaut. Hier wird gesungen, diskutiert und über Nacht gemeinsam gefroren. Mitte Dezember soll über die Millionenkürzungen entschieden werden. So lange wollen Eltern und Schüler bleiben. Die freien Schulen wechseln sich ab, beleben das Camp, laden Politiker zur Debatte.

Für zwei Tage ist gerade die Kinderschule Oberhavel zu Gast. „Wir wollen hier Präsenz zeigen“, sagt Petra Schreier. Die 42-jährige Mutter hat mit ihrer Tochter Thekla hier gezeltet. Thekla fand das toll: „In meinem Schlafsack war es warm, Mama hat gefroren“, erzählt sie. Zum Glück gebe es Decken, sagt Schreier. Theklas andere Schulfreunde seien erst am Morgen nachgekommen.

20 000 Euro kostet das Containercamp, bezahlt wird es von der Arbeitsgemeinschaft Freier Schulen. Ein Teil der Kosten soll durch Spenden refinanziert werden, etwa 2300 Euro seien gesammelt. Sechs Eltern haben das Camp organisiert, einer bleibt immer über Nacht.

„Ruhig ist es hier nur zwischen ein und fünf Uhr nachts“, erzählt Kalhorn. Im Sekundentakt brausen Autos und Lkws an der Blechbüchse vorbei, in dem die Nachtwache untergebracht ist. In dem Container gibt es einen Herd, ein Bett und eine Elektroheizung. In der Ecke stehen ein Radio, eine Lampe, zwei Flaschen Hustensaft und eine Kiste mit Glühwein. An der Wand hängt ein Zettel, eine Nachbarin bietet eine warme Dusche an. Draußen gibt es einen Toilettencontainer, eine Feuerstelle und ein Jurte-Zelt.

Tagsüber ist Kalhorn, der eigentlich als Dokumentarfilmer arbeitet, mit der Webseite des Camps beschäftigt. Er twittert und schreibt auf Facebook. Auch ein Tagebuch will gefüllt werden. Ab und an kämen Landtagsabgeordnete vorbei. „Wir sind ein offenes Camp, alle sind herzlich eingeladen“, sagt Kalhorn. Leider seien die Besuche recht selten. Noch seltener habe er die Politiker der rot-roten Regierungskoalition dann überzeugen können, die Kürzungen zurückzunehmen.

Der Protest hat aber einen Erfolg gezeigt: Statt um anfangs 20 Millionen Euro sollen die Zuschüsse für die 129 freien Schulen im Land bis zum Jahr 2015 nun um knapp 13,5 Millionen Euro sinken. Doch auch diese Kürzung können vor allem die kleineren Schulen nicht verkraften. „Wir demonstrieren hier für unsere Würde“, sagt Kalhorn. Gemeinsam mit Eltern aus Angermünde hatte er in seinem Heimatort eine Schule gegründet. Die Eltern haben Bürgschaften aufgenommen, Lehrer bezahlt, ein Schulgebäude gekauft. Würden die Kürzungen umgesetzt, stünde die Initiative vor dem Aus.

„Wir werden in den Hintern getreten“, sagt Kalhorn. Die Eltern hätten viel investiert – „und dann bekommt man zu hören, wir seien ein Luxus, den sich das Land nicht mehr leisten möchte“. Dafür harre er gerne in der Kälte aus, sagt Kalhorn.

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