zum Hauptinhalt

Brandenburg: Soziale Herkunft prägt den Schulstart

Knapp 20 000 Brandenburger Schulanfänger in diesem Jahr – aber manche von ihnen haben''s schwerer

Stand:

Potsdam – Im Land Brandenburg sind am kommenden Wochenende knapp 20 000 kleine Zuckertüten-Träger unterwegs. Nach den Einschulungsfeiern müssen sie dann bald in den ersten Klassen zeigen, was sie können. Doch nicht alle treten mit den gleichen Voraussetzungen an. Was wie eine unabänderliche Binsenweisheit klingt, hat handfeste Ursachen – vorwiegend soziale.

Das fängt schon mit der Schultüte an: Früher unterschieden die sich vor allem durch den Inhalt. In diesem Jahr wurden viele Brandenburger von der Schlagzeile aufgeschreckt, dass es für Hartz-IV- Empfänger keinen Zuschuss zur Erstausstattung der Schulanfänger gibt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund fordert jetzt eine „Schulbeihilfe für Arme“. Die Grundausstattung eines Schulkindes koste nämlich rund 180 Euro. Die Potsdamer Stadtverwaltung erwägt, 25 Euro für Schulanfänger aus Hartz-IV-Familien zu zahlen.

Eine Äußerlichkeit? Das Gesundheitsministerium hat die soziale und die gesundheitliche Lage von kleinen Kindern in Brandenburg untersucht. Ein Ergebnis: „Kinder aus sozial benachteiligten Familien weisen drei Mal häufiger frühförderrelevante Befunde auf als Kinder aus Familien mit mittlerem oder hohem Sozialstatus.“ Damit sei absehbar, „dass diese Kinder deutlich ungünstigere Startchancen in der Schule haben.“ Dabei geht es um Befunde wie Sprachstörungen oder intellektuelle Entwicklungsverzögerungen, die bei frühzeitiger Behandlung positiv beeinflusst werden können. Auch Kinder alleinerziehender Eltern weisen häufiger derartige Befunde auf, stellt die Studie fest.

Außerdem werden sie weniger durch das System der sogenannten U-Untersuchungen erreicht. Und: „Kita-Kinder sind gegenüber Haus-Kindern gesünder.“ Haus-Kinder kommen häufiger aus sozial benachteiligten Verhältnissen. Seit langem kritisiert die Opposition den eingeschränkten Rechtsanspruch auf Kita-Betreuung für Kinder von Arbeitslosen. „Das ist besonders fatal, weil es diese Kinder oft besonders nötig hätten“, sagt Agi Schründer-Lenzen, Professorin für Allgemeine Grundschulpädagogik an der Universität Potsdam.

„Kinder, die eine Kita besucht haben, sind durchschnittlich erfolgreicher in der Grundschule.“ Gesundheitsministerin Dagmar Ziegler (SPD) betont darum: „Es ist wichtig, dass gesundheitliche und soziale Risiken frühzeitig erkannt werden und Hilfen rechtzeitig und umfassend geleistet werden - und zwar möglichst lückenlos.“ Kein Kind dürfe zurückgelassen werden.

Viele Hoffnungen werden in die Ganztagsschule gesetzt. Hier sollen Defizite besser bekämpft werden. Ob diese Rechnung aufgeht, wird in einem gerade begonnenen Forschungsprojekt von Schründer-Lenzen untersucht. GanztagsOrganisation im Grundschulbereich, kurz „GO“, lautet der Titel unter dem in Brandenburg, Berlin und Nordrhein- Westfalen Grundschüler im Lesen und Rechnen getestet und Lehrkräfte, Schulleiter, Erzieherinnen und Eltern befragt werden. Erste Ergebnisse sollen im zweiten Halbjahr 2008 vorliegen.

„Unter dem Strich schneiden Grundschüler aus Brandenburg im Vergleich erstaunlich gut ab“, berichtet Schründer-Lenzen von einem Modellprojekt zur Sprachförderung in der Schuleingangsphase. Potsdamer Grundschulen zeigen hier im Vergleich mit bundesweiten Stichproben Leistungen im Rechtschreiben, die über dem Durchschnitt liegen. Auch die Mathematikleistungen sind gut. Das bundesweite PISA- Problem zeigt sich aber auch in Brandenburg, denn im Leseverständnis haben die Kinder noch Schwierigkeiten.

„Offensichtlich machen die Lehrerinnen an unseren Modellschulen einen guten Unterricht“, sagt Schründer-Lenzen. „Die guten Rechtschreibleistungen spiegeln vielleicht die Tradition im Osten, verstärkt Wert auf formale Richtigkeit zu legen. Die Lese- und Sprachleistungen vieler Kinder brauchen aber noch nachhaltige Unterstützung.“ Unter dem Strich lobt Schründer-Lenzen die Vielzahl der Projekte in Brandenburg für mehr Schulgerechtigkeit und Bildungsqualität. „Natürlich wäre es schöner, wenn die jetzt anlaufende Sprachstandserhebung und Förderung für alle Fünfjährigen bereits zwei Jahre früher, also bei den Dreijährigen ansetzen würden. „Aber grundsätzlich ist es ein guter erster Schritt.“

Matthias Benirschke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })