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An der Testperson. Während Paul Dähn die Ersatz-Heimbewohnerin in der Seitenlage stützt, soll Olga Becker das Bettlaken wechseln. Zusammen mit 13 anderen werden Dähn und Becker in Strausberg ein Jahr lang zum Altenpflegehelfer ausgebildet.

© Matthias Matern

Brandenburg: Soziale Mangelwirtschaft

2030 werden in Brandenburg einer Studie zufolge etwa 24 000 Pflegekräfte fehlen. Eine geförderte Umschulung für Arbeitslose und Menschen ohne Berufsabschluss soll die ärgste Not lindern helfen

Von Matthias Matern

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Strausberg - Früher hat Paul Dähn gelernt, wie man Zündkerzen und Bremsbelege wechselt. Heute lässt er sich von Giesela Kück zeigen, wie man fachgerecht die Bettwäsche austauscht oder beim Waschen und Essen hilft. Vor vier Wochen hat der 20-Jährige an der „Sowi Strausberg – Sozialwirtschaftlichen Fortbildungsgesellschaft“ seine Ausbildung zum Altenpflegehelfer begonnen. „Das macht total Spaß“, meint der stämmige Strausberger und zieht das weiße Bettlaken vor ihm glatt. Endlich ist er in seinem Traumberuf angekommen. Ursprünglich hatte Dähn in Baden-Württemberg eine Lehre zum Kfz-Mechatroniker begonnen, die Ausbildung aber frustriert abgebrochen. „Die Fingerfertigkeit, die da gefragt war, ist gar nicht mein Ding und außerdem war ich da unten nur der dumme Ossi“, erinnert er sich. Wenn auch die Bezahlung in der Pflege mit rund acht Euro die Stunde mäßig, die psychische und physische Belastung dafür hoch ist, so sind die Aussichten auf einen Arbeitsplatz so gut wie in kaum einer anderen Branche: Allein im Land Brandenburg fehlen einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge im Jahre 2030 mehr als 24 000 Pflegekräfte.

Grund für den enorm steigenden Bedarf an Pflegepersonal ist der absehbare Zuwachs von pflegebedürftigen Menschen. Nach Berechnung der Bertelsmann-Stiftung wird die Zahl der Pflegebedürtigen in stationärer und ambulanter Betreung in Brandenburg in den kommenden knapp 18 Jahren um etwa 72 Prozent steigen – so viel wie in keinem anderen Bundesland. Das brandenburgische Sozialministerium selbst geht von der Steigerung von derzeit etwa 90 000 Pflegebedürftigen im Land auf 160 000 im Jahr 2030 aus. Bereits heute suchen Heime und ambulante Dienste im Land händeringend Mitarbeiter.

Dähn ist zur Pflege nach seiner Rückkehr aus Baden-Württemberg über ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Berliner Seniorenheim gekommen. „Ich wollte einfach etwas Sinnvolles machen, nicht nur rumhängen“, erzählt der junge Mann. Dort habe er gemerkt, dass ihm die Arbeit einfach Spaß mache, die Betreuung älterer Menschen einfach liege. „Sich unterhalten, mit den Heimbewohnern spazieren gehen. Ich habe einfach einen großen Respekt davor, was ältere Menschen geleistet haben. Die Nachkriegsjahre waren ja nicht einfach.“

Dähns Ausbildung wird von der Europäischen Union gefördert. Insgesamt 3,82 Millionen Euro stellt die EU über den Europäischen Sozialfonds (ESF) dafür zur Verfügung. Die Ausbildungsunterstützung erhält, wer entweder lange Zeit arbeitslos war, keinen Berufs- oder Schulabschluss hat, alleinerziehend oder älter als 50 Jahre ist. Die Maßnahme soll helfen, den prognostizierten Fachkräftemangel in der Pflege abzumildern. Nach Ministeriumsangaben reicht das Geld aus Brüssel für bis zu 240 Teilnehmer.

Die Sowi-Strausberg ist bislang die einzige der landesweit 15 Altenpflegeschulen, an der die geförderte Ausbildung stattfindet, und Dähn ist einer der ersten 15 Kursteilnehmer, die von der Maßnahme profitieren. Sowi-Geschäftsführer Gregor Weiß findet die Maßnahme zwar gut, glaubt aber trotzdem, dass das Rennen gegen die Zeit nicht zu gewinnen ist, solange nur an einer Front gekämpft wird. „Wir müssten eigentlich bis 2030 jährlich rund 2000 Pflegekräfte im Land ausbilden, derzeit sind es etwa 400“, so Weiß. Dennoch werden irgendwann neu gebaute Heime nicht eröffnet werden können, weil das Personal fehle. Statt nur für die Ausbildung von Pflegepersonal müsste sich die Landesregierung parallel auch für die Ausbildung von Physio- und Ergotherapeuten einsetzen, meint der Chef der Strausberger Einrichtung. Anders als in Sachsen und einigen anderen Ländern werden diese Berufe in Brandenburg fast gar nicht gefördert, beklagt Weiß. Dabei müsse es doch darum gehen, ältere Menschen möglichst lange fit zu halten, damit sie erst möglichst spät oder gar nicht pflegebedürftig werden.

Das findet auch Altenpflege-Lehrerin Giesela Kück. „Nur so wird Altenpflege wirklich rund“. Nach der Mittagspause hat die Diplom-Medizinpädagogin die 15 Kursteilnehmer übernommen. Im sogenannten Kabinett der Einrichtung sollen Dähn und die anderen das Bettwäschewechseln üben. Während einer sich ins Bett legen und den Pflegebedürftigen mimen muss, sollen je zwei Lehrlinge Kopfkissen, Bettdecke und Laken tauschen. Dähn gegenüber steht Olga Becker. Während er die Ersatz-Heimbewohnerin in der Seitenlage stützt, zieht die 37-Jährige vorsichtig das Laken weg. Seit 19 Jahren lebt Becker in Deutschland. Geboren wurde sie in Kasachstan. Wie Dähn ist auch Becker froh, dass sie einen Platz im Kurs bekommen hat. „Ich komme aus einer medizinischen Familie. Meine Mutter ist Hebamme, meine Oma war auch Altenpflegerin und meine Tante ist Kinderkrankenschwester“, erzählt sie.

Eine erste Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in Russland hat Becker für ihre Umsiedlung abgebrochen, einen ersten Anlauf zur Altenpfegerin in Deutschland gab sie für die Geburt ihrer ersten Tochter auf. „Danach hieß es beim Arbeitsamt: Dafür sind sie zu alt, was wollen sie denn so lange mit ihren vier Kindern machen“, erinnert sich Becker. Es folgte eine Zeit, in der sich Jobcenter-Maßnahmen und Kurzzeitbeschäftigungen abwechselten. „Ich habe trotzdem immer daran geglaubt, dass es irgendwann mal klappt“, versichert sie.

Zeit zum Lernen findet Becker abends, wenn die Kinder schlafen. Dass sich in der Pflege auch nicht viel verdienen lässt und die gesellschaftliche Anerkennung oft gering ist, ist ihr egal. „Ich mache das für mich, weil es mir Spaß macht.“ Auch Dähn zuckt nur mit den Schultern. „Wer nur an das Geld denkt, ist in der Pflege falsch. Hauptsache es reicht, um den Standard zu halten“, sagt der 20-Jährige. Auf viel Verständnis ist seine Wahl bei seinen Kumpels zunächst nicht gestoßen „Und was machst du da, etwa alten Leuten den Hintern abwischen?“ Solche und ähnliche Fragen hat Paul Dähn öfter zu hören bekommen. Mittlerweile hat sich die Einstellung offenbar geändert. „Heute finden das zumindest einige wohl ganz gut, fragen auch mal, wie mein Tag so aussieht“, sagt der angehende Altenpflegehelfer.

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