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Folgen des Braunkohleabbaus: Sperrgebiet Lausitz
Nach Jahrhunderten des Braunkohleabbaus drängt das Grundwasser mit aller Macht nach oben – Äcker und sogar Stadtgebiete drohen abzurutschen.
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Cottbus - „Grundwasser hat ein Gedächtnis“, sagt Klaus Weymanns. Jahrzehnte wurde es für die Braunkohletagebaue in der Lausitz großflächig abgesenkt. Jetzt aber, nach 200 Jahren Kohleabbau, „kommt es zurück“, sagt Weymanns, der als Referatsleiter im brandenburgischen Infrastrukturministerium für die Sanierung der Tagebaulandschaft zuständig ist. Und es kommt mit aller Macht, überraschend schnell und mit gravierenden Folgen für die ganze Region.
Zu DDR-Zeiten gab es in der Region 17 aktive Tagebaue. „Wir haben das Gebiet mit größten ökologischen Schäden übernommen. Es gab einen riesigen Absenkungstrichter“, wie Weymanns es nennt. Und genau dort wurde gebaut: Häuser, Straßen, Betriebe und ganze Wohngebiete. Jetzt aber löst das aufsteigende Grundwasser Bewegungen und Rutschungen in den vor Jahrzehnten aufgeschütteten Böden aus.
Bedroht ist auch der Campingplatz am Hindenberger See bei Lübbenau, der größte im Spreewald. Das Gelände und die Uferbereiche wurden gesperrt. Zurückblieb ein Geister-Campingplatz: Leere Wohnwagen, zurückgelassene Vorzelte und verwaiste Terrassen. Dort stehen jetzt Schilder und warnen „Betreten verboten. Lebensgefahr“. Das Landesbergamt befürchtet Rutschungen auf den gegenüberliegenden Kippen des früheren Tagebaus, die eine Flutwelle auslösen würden. Für Himmelfahrt und Pfingsten 2012 ist der Platz bereits ausgebucht, jetzt droht der Totalausfall. „Wird die Sperrung nicht schnell aufgehoben, bin ich pleite“, sagt Campingplatzbetreiber Marco Rähn.
Für die Region steht viel auf dem Spiel, etwa die viel gelobte neue Seenlandschaft, die in den alten Tagebaulöchern entsteht und den Tourismus in der sich wandelnden Region ankurbeln soll. Das Naturschutz-Großprojekt Lausitzer Seenland wird wegen Rutschgefahr nur auf 1000 statt auf geplanten 3000 Hektar umgesetzt. Behörden denken darüber nach, neu gebaute, nun aber gesperrte Rad- und Wanderwege zu verlegen. Und eine Imagekampagne soll für den Tourismus entlang der brandenburgisch-sächsischen Grenze retten, was zu retten ist.
Plötzlich ist die Welt in den Braunkohle-Regionen Ostdeutschlands eine andere. Alles begann am frühen Morgen des 18. Juli 2009, als im sachsen-anhaltinischen Nachterstedt ein etwa 350 Meter breiter Landstreifen in einen Tagebausee rutschte, ein Einfamilienhaus, Teile eines Mehrfamilienhauses, eine Straße und eine Aussichtsplattform mit sich in die Tiefe riss. Drei Menschen wurden verschüttet und für verschollen erklärt. Weitere Erdrutsche sind möglich, das weiträumig abgesperrte Unglücksgebiet in Nachterstedt kann vermutlich nie mehr bewohnt werden. Im Oktober 2010 begann im sächsischen Sanierungsgebiet Spreetal der Boden zu fließen. Eine 150 Hektar große Fläche setzte sich samt Schafherde und Lastwagen in Bewegung. Ende Dezember 2010 sackten 27 Hektar Wald im Landkreis Bautzen (Sachsen) ab. Ein Phänomen, mit dem niemand gerechnet hat, die Kippen galten als stabil und sicher.
Seither hat die Lausitzer und Mitteldeutsche Bergbau-Verwaltungsgesellschaft mbH (LMBV) viel zu tun. Das Bundesunternehmen hat in der Lausitz wegen Rutschungsgefahr ganze Landstriche, insgesamt 18 000 Hektar Land gesperrt, alte Kippen, auf denen der Abraum der Tagebaue landete. 26 Agrarbetriebe dürfen nicht mehr auf ihre Äcker und Weiden. Betroffen sind auch Waldbesitzer, Gewerbebetriebe und Windparks. In Lauchhammer werden fieberhaft ganze Wohngebiete untersucht, ob die Gebäude noch standfest sind.
Die Experten der LMBV aber sind noch ratlos und testen neue Sanierungsmethoden, um die Böden zu verfestigen. Jetzt sollen an besonders gefährlichen Stellen Drainagen zum Einsatz kommen, um den steigenden Druck aus dem Boden zu nehmen. Es ist eine Mammutaufgabe, die meisten Kippen werden über Jahre gesperrt bleiben, heißt es bei der LMBV.
Auch die Kosten für Entschädigungen und Soforthilfen steigen. Im Fall von Marco Rähm, dem Campingplatzbetreiber am Hindenberger See, wird das noch geprüft. Vor zehn Jahren hat er 1,5 Millionen Euro in seinen 42 Hektar großen Betrieb gesteckt, ein Drittel waren Fördermittel. Er hielt sich strikt an ein Gutachten, wo gebaut werden durfte. Es entstand eine Vier-Sterne-Anlage mit Restaurant, Bowlingbahn und zehn festen Mitarbeitern. Das Geschäft brummte.
Das Landesbergamt prüft jetzt, wie der Campingplatz gesichert werden kann, etwa mit Verdichtungen oder einer Absenkung des Wasserstandes. Behördenleiter Klaus Freytag aber kann nicht einmal ausschließen, dass weitere, bereits freigegebene Gebiete ebenfalls gesperrt werden. „Der Sanierungsprozess wird noch Jahrzehnte andauern“, sagt er. (mit dapd)
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