Brandenburg: Strafanzeige gegen „Robin Hood“
Provinzposse um Fernwärme: Berliner Firma Energicos will in Wittstock „den Filz ausheben“
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Wittstock - Wo für Roland G. in Europa die Rechtsstaatlichkeit aufhört, steht offenbar außer Frage: „Da denkt man doch, man ist in Slowenien und nicht in Deutschland“, schimpft der Sprecher der Berliner Firma Energicos. Wegen der Fernwärmeversorgung von knapp 550 kommunalen Wohnungen liegt die Firma wie berichtet im Streit mit dem Bürgermeister der Stadt Wittstock (Ostprignitz-Ruppin). Weil ihm Energicos angeblich die Schlüssel für ein Heizhaus verweigert hat, brach Rathauschef Jörg Gehrmann (parteilos) vergangenen Montag mit einem Bolzenschneider die Tür des Gebäudes auf, um die Fernwärmeversorgung, die die Berliner im Auftrag des Energieriesen RWE organisieren, zu kappen. Künftig will Gehrmann seinen Bürgern gestützt durch einen Stadtverordnetenbeschluss selbst einheizen. Nun will Energicos zum Gegenschlag ausholen: „Wir werden den Filz ausheben und das so hoch fahren wie nötig, und wenn es bis zur Bundeskanzlerin ist“, kündigt der Sprecher an.
Zu dem rabiaten Schritt genötigt fühlte sich Gehrmann aus Sorge, der Liefervertrag mit RWE und damit auch mit Energicos werde automatisch verlängert, sollte die Versorgung nicht bis 24 Uhr diesen Samstag beendet sein. Zwar läuft der vor 20 Jahren geschlossene Vertrag dann ohnehin fristgemäß aus, doch Gehrmann spricht von Knebelverträgen, die er nicht zu verantworten habe und die so heute keinesfalls mehr abgeschlossen werden würden. Tatsächlich scheinen selbst die Beteiligten nicht mehr genau zu wissen, wer sich wann zu was verpflichtet hat und wem heute welche technische Anlage gehört. Bei RWE spricht man von einem „verwickelte Verhältnis“, G. sagt dazu „Altlasten aus dem Jahr 1992.“
Gehrmann zufolge habe die Stadt damals mit RWE einen Liefervertrag geschlossen und das Heizhaus und einen Teil des Leitungsnetzes dem Konzern zur kostenlosen Nutzung überlassen – in der Hoffnung, dadurch springe etwas beim Preis heraus. Doch statt günstiger, sei es nur teurer geworden. So teuer sogar, dass Wittstocks Kunden bis zu 190 Euro die Megawattstunde zahlen müssen, während der Landesschnitt bei 111 Euro liege.
Energicos wiederum behauptet, das Leistungsnetz gehöre zweifellos ihnen, auch die gesamte Technik im Heizhaus. Nur die Hülle, also Mauern, Dach, Tür und Fenster gehören der Stadt. Gehrmann wolle lediglich Zugang zum Heizhaus, um Energicos den Saft abzudrehen, seine eigene Anlage anzuschließen und sich „für lau“ das firmeneigene Netz unter den Nagel zu reißen. Deshalb habe man auch die Schlüssel nicht herausgerückt, so Sprecher G.. Sämtliche Anlagen habe man 2009 von RWE gekauft.
RWE bestätigt indes auf PNN-Anfrage, die Anlage an Energicos verkauft zu haben, verweist aber ansonsten darauf, dass mit Samstagmitternacht sowohl alle vertraglichen Verpflichtungen gegenüber Energicos als auch gegenüber Wittstock erledigt seien. Der Wittstocker Rathauschef aber ist sich sicher, bereits 3900 Meter des insgesamt 4400 Meter langen Leitungsnetzes gehören sowieso bereits der Stadt und mit RWE sei vereinbart, dass nach dem Auslaufen des Vertrags sowohl die restlichen 500 Meter als auch alle anderen technischen Anlagen in das Eigentum der Stadt übergehen. Soweit, so klar?
G. wirft Gehrmann wegen der Bolzenschneider-Aktion Selbstjustiz vor. In der Stadt lasse sich der Bürgermeister dafür auch noch wie Robin Hood feiern. Damit soll endlich Schluss sein. „Es wird jetzt eine ganze Reihe Strafanträge hageln, gegen die Polizei in Wittstock, gegen den Bürgermeister natürlich, aber auch gegen den Wachschutz“, zählt G. auf. Den Wachschutz hat Energicos auf dem Kieker, weil der angeblich mit den Worten „der Bürgermeister bezahlt halt mehr“ die Seiten gewechselt habe, der Firma den Zutritt zum Gelände des Heizhauses verwährt habe, obwohl er eigentlich von der Firma engagiert worden sei. Auf die Polizei hat es G. abgesehen, weil die sich angeblich geweigert hat, eine Anzeige gegen Gehrmann aufzunehmen, als man mit einer Einstweiligen Verfügung in Wittstock abgeblitzt sei. „Gehrmann hat gesagt, was der Richter sagt, interessiert mich nicht. In meiner Stadt entscheide ich“, so der Firmensprecher.
Möglicherweise fühlt man sich bei Energicos auch nur zu wenig beachtet. Laut G. versucht die Firma schon seit 2010 RWE auszuboten und selbst direkter Partner der Stadt zu werden. „Alle Kunden finden unser Angebot toll.“ Nur der Bürgermeister und der Cehf der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft seien dagegen, dabei sei Energicos um die Hälfte günstiger als RWE. „Die Wittstocker hätten 1,3 Millionen Euro sparen können“, versichert G.
„Unsere Berechnungen haben ergeben, dass wir die Fernwärme selbst weitaus günstiger bereitstellen können“, sagt dagegen Bürgermeister Gehrmann. Außerdem handele es sich bei dem Angebot der Berliner um einEN Vertrag, bei dem man in drei bis vier Jahren wieder bei dem Preis ankomme, den man zuletzt bezahlt hat.
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