
© Kai-Uwe Heinrich
Brandenburg: Stresstest für das Gemeinschaftsgefühl
Drei Kommunen haben Verfassungsbeschwerde gegen Abgaben für reiche Gemeinden eingelegt
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Liebenwalde/Potsdam - Jörn Lehmann ist sauer auf die Landesregierung. „Dafür, dass wir Liebenwalde wirtschaftlich attraktiver gemacht haben, werden wir jetzt auch noch bestraft“, klagt der parteilose Bürgermeister der Oberhavel-Stadt. Liebenwalde gehört zu den insgesamt rund zehn sogenannten abundanten Kommunen im Land Brandenburg, deren Einnahmen, etwa aus der Gewerbesteuer, so hoch sind, dass sie über eine neu eingeführte Umlage finanziell schwächeren Kommunen im Land etwas abgeben sollen. Grundlage für die „Reichensteuer“ ist eine Änderung des Landesfinanzaugleichsgesetzes aus dem Jahr 2011. Lehmann hält dies für ungerecht. „Wir haben hier keine goldenen Türklinken, dafür noch genügend kaputte Straßen“, schimpft der Rathauschef. Zusammen mit den Gemeinden Schenkendorf (Dahme-Spreewald) und Breydin (Barnim) hat Liebenwalde Beschwerde beim Landesverfassungsgericht eingelegt. Bis zum Sommer soll der Fall entschieden werden.
Im Fall von Liebenwalde geht es um rund 15 Millionen Euro, die die Stadt für die vergangenen zwei Jahre zahlen soll. Geld, das Liebenwalde eigentlich nie eingenommen hat, behauptet Bürgermeister Lehmann. „Das Land versucht uns Einnahmen anzudichten, indem es von einem fiktiven Hebesatz von 324 Prozent ausgeht. Auf welcher gesetzlichen Grundlage eigentlich“, fragt er. Die zugrunde gelegten Zahlen entsprechen einfach nicht der Wahrheit. Nach der Gemeindegebietsreform 2003 habe sich die neugeordnete Stadt für einen Hebesatz von 200 entschieden. Infolgedessen haben sich mehrere Unternehmen in Liebenwalde niedergelassen, die seit einigen Jahren für höhere Gewerbesteuereinahmen sorgten, so Lehmann. Hauptsächlich würde es sich um Firmen aus dem Dienstleistungssektor handeln. „Immobilienverwaltungen“, so Lehmann. Maßgeblich dürften die Einnahmen allerdings durch zwei Tochtergesellschaften des Lebensmitteldiscounters Lidl, die ihren Sitz in Liebenwalde haben, zusammenkommen.
Durch die sogenannte Reichensteuer, meint der Bürgermeister, werde Liebenwalde in die Zahlungsunfähigkeit getrieben. Schon jetzt blieben wegen der Gewerbesteuerumlage, die ja bereits ans Land fließe, und der Kreisumlage in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrages gerade noch 30 Prozent der eigenen Einnahmen für Liebenwalde übrig, behauptet der Bürgermeister. „Jetzt sollen wir auch davon noch so viel abgeben, dass wir am Ende nicht einmal mehr unsere eigenen Ausgaben bestreiten können.“
Lehmanns Ärger kann Karl-Ludwig Böttcher, Geschäftsführer des brandenburgischen Städte- und Gemeindebundes, zwar verstehen. Dass er angeblich nicht weiß, auf welcher Grundlage die Abgabe berechnet wird, nimmt er ihm dagegen nicht ab. „Der weiß das genau. Ich selbst habe es ihm mehrfach erklärt“, sagt Böttcher. Die Reichensteuer werde auf Basis des durchnittlichen Gewerbesteuer-Hebesatzes Brandenburgs ermittelt, erläutert der Städtebundchef. „Dass sich die abundanten Gemeinden ungerecht behandelt fühlen, kann man nachvollziehen. Aber es geht um einen interkommunalen Solidarbeitrag“, sagt Böttcher. Im Übrigen sei die Regelung in vielen Bundesländern, besonders in Ostdeutschland, üblich und schon mehrfach verfassungsrechtlich bestätigt worden.
Im Landesfinanzministerium, das für das Gesetz verantwortlich ist, sieht man der Entscheidung des Verfassungsgerichts entsprechend gelassen entgegen. „Wir sind zuversichtlich, dass das Gesetz auf seriösen Beinen steht“, bestätigt Ministeriumssprecherin Ingrid Mattern.
Bürgermeister Lehmann aber warnt das Land davor, sich ins eigene Fleisch zu schneiden. „Natürlich könnten wir den Hebesatz auf 324 Prozent erhöhen. Das würde vermutlich zu einem Unternehmensschwund und zu einer geringeren Gewerbesteuerumlage führen“, sagt er.
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