Brandenburg: Südafrikaner aus der Lausitz
Ein Pfarrer-Austausch brachte Reinhold Schiele per Zufall nach Brandenburg. Dort entdeckte er Spuren seiner Vorfahren
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Es war Zufall, dass er ausgerechnet hierher kam. Vor sechs Jahren ließ sich Pfarrer Reinhold Schiele aus Südafrika nach Deutschland versetzen. Den Ort konnte er nicht wählen. Die kleine Stadt Ruhland im Süden Brandenburgs musste er auf der Landkarte suchen. Und doch verband ihn mehr mit diesem Flecken Erde im Landkreis Oberspreewald-Lausitz, als er ahnte.
Die Kirchturmuhr schlägt 12 Uhr mittags. Aus dem Pfarrhaus gegenüber kommt der 50-jährige evangelische Pfarrer. Er ist ein hemdsärmeliger Mann mit einem kräftigen Händedruck. Seine satte, sonore Stimme tönt angenehm durch die kleine Kirche, als er deren Geschichte erzählt. Schiele lernte Deutschland erstmals vor 24 Jahren als junger Vikar kennen. Seine Mutter stammt aus Berlin, seine Eltern waren beide Theologen dieser Landeskirche. „Es ist ein Stück Heimat für mich“, sagt er.
Aber das hätte er dann doch nicht erwartet: Als er zum ersten Mal die Kirche in Ruhland betritt, sieht er an der Wand über dem Eingang die Wappen der ehemaligen Patronatsherren. „Das erste Wappen“, sagt Schiele und deutet nach oben, „ist das der Grafen von Gersdorff, die von 1397 bis 1622 hier in der Gegend das Patronat innehatten“. Seine Mutter ist eine geborene Gersdorf, mit einem ,f'. Man habe ihm damals schon gesagt, wer „Gersdorf(f)“ im Namen hat – ob adelig oder nicht – gehöre zu dieser Familie. Weder seine Mutter noch sein deutschstämmiger südafrikanischer Vater wussten von den Vorfahren in Ruhland.
Schiele geht jetzt ein paar Meter weiter Richtung Altarraum. Dort gab es früher eine Gruft, wo unter anderem auch die Patronatsherren Gersdorff beigesetzt wurden. „Das heißt ja, dass ich immer auf den Gebeinen meiner Sippe stehe, wenn ich hier einen Gottesdienst leite“, sagt Schiele vergnügt.
Rund 1700 Mitglieder umfasst seine Kirchengemeinde in Brandenburg und ist somit sehr viel größer als seine vorige in Wartburg in der Provinz KwaZulu-Natal im Osten Südafrikas mit ihren rund 200 Mitgliedern. Etwa 50 von ihnen kamen dort regelmäßig zum Gottesdienst, in Ruhland sind es selten mehr. Während Brandenburg zu den Ecken Europas gehört, in denen es so wenig Gläubige wie kaum irgendwo anders gibt, sei in Südafrika mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der Kirche engagiert. „Mir scheint es“, sagt er, „dass die Menschen hier einfach vergessen haben, was Glaube sein kann, wie wichtig es ist, darin auch eine Beziehung zu sehen – und die läuft im christlichen Glauben übers Gebet, übers Bibellesen und die Teilnahme an Gottesdiensten.“ Die lange Zeit der DDR habe die Menschen geprägt und von der Kirche entfremdet, sagt der Pfarrer. Nach wie vor feiern viele Jugendliche hier die Jugendweihe. Viele lassen sich mittlerweile zusätzlich konfirmieren.
Vieles war Reinhold Schiele anfangs fremd, doch manches auch unerwartet vertraut. „Die Art, wie die Menschen hier ticken, ist gar nicht so anders ist als in Südafrika“, sagt er. Sie hätten gelernt, das Leben auf eine besondere Art zu meistern, die Dinge selbst in Ordnung zu bringen und sich dabei gegenseitig zu helfen.
Für seine Kinder, Dana (12) und Bernhard (14), war es nicht ganz einfach, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Sie hätten die südafrikanische Herzlichkeit vermisst. Die Menschen gingen hier um einiges ruppiger miteinander um, stellten die Schieles fest. Da er jedoch mit Berliner Zungenschlag aufgewachsen ist, kam er in Brandenburg von Anfang an gut klar und verstand auch schnell, was unausgesprochen zwischen den Zeilen mitschwang. Seine leutselige Art machte es ihm leicht, auf die Menschen zuzugehen. „Ich habe gleich zu Beginn gesagt, dass mir Duzen leichter fällt als Siezen“, erzählt er, „und das haben die Menschen sofort akzeptiert, weil sie sich sagten, gut, der ist von woanders her, dort macht man die Dinge eben anders“.
Das betrifft auch die Gastfreundschaft. Wer um die Mittagszeit bei Schieles eintrifft, wird selbstverständlich zum Essen eingeladen. In dem heimeligen, verwinkelten Pfarrhaus duftet es nach Linsensuppe. Vor dem Essen wird gebetet.
Am 31. Dezember enden die sechs Jahre, die die Schieles im Rahmen eines Austauschprogramms deutscher und südafrikanischer Landeskirchen in die Lausitz führten. Dann werden sie wieder in ihre Heimat zurückziehen.
Was er an Deutschland vermissen wird? „Das gute Gebäck, das Brot und die Brötchen“, sagt er, „aber auch die Jahreszeiten und die Möglichkeit, an einem Ort in einer Sprache zu leben und nicht immer zwischen Deutsch, Englisch und Afrikaans zu wechseln“. „Und auch, dass man nicht immer alles absperren muss und das Auto unbewacht vorm Haus stehen kann“, ergänzt seine Frau Ilse.
Die ganze Familie ist in der Kirchengemeinde engagiert. Reinhold Schiele und sein Sohn Bernhard spielen im Posaunenchor mit. Der 14-Jährige wurde im Mai konfirmiert. Er will auch Pfarrer werden. Das hat in der Familie Tradition. Reinhold Schieles Großvater und seine Mutter hatten diesen Beruf, sein Vater war Bischof der Ostdiözese der Evangelical Lutheran Church in South Africa, zu der auch Swasiland gehört. Für Schiele ist das alles kein Zufall, sondern ebenso Gottes Fügung wie seine Stelle in Ruhland, die ihn zu den Spuren seiner Vorfahren führte. „Es ist ein absoluter Zufall“, sagt Pfarrer Schiele, „aber ich denke mal, was Gott betrifft, nicht“.
Carmen Gräf, Ruhland
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