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Brandenburg: Szene mit Besonderheiten

In Brandenburg kommt es immer wieder zu heftigen Auseinandersetzungen verfeindeter Rocker-Gruppen. Die Polizei sieht sich gerüstet und ist weit davon entfernt, von einem Krieg zu sprechen

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Cottbus/Eberswalde - Sie kamen mit Baseballschlägern und waren vermummt. In Cottbus-Sachsendorf steuerte der Schlägertrupp vor einer Woche gezielt auf einen 23-Jährigen zu. Der zückte eine Waffe und schoss. Der Schlägertrupp floh und entkam, der Schütze wurde von der Polizei festgenommen.

Der Vorfall, bei dem niemand verletzt wurde, stellt einen neuen Höhepunkt in den teils blutigen Auseinandersetzungen zwischen verfeindeten Rockerklubs in Brandenburg und Berlin dar. Die vermummten Schläger gehörten nach bisherigen Erkenntnissen der Polizei zum örtlichen Motorradclub (MC) „Hells Angels“, der 23-Jährige, der geschossen hatte, zum gegnerischen MC der „Bandidos“.

Die örtlichen Ableger der beiden größten deutschen MCs liefern sich in Cottbus zwar seit Jahren immer wieder offene Auseinandersetzungen, doch aus dem „normalen, aggressiven Revierverhalten“ könnte bald mehr werden. Zwar sehen die Experten des Landeskriminalamtes (LKA) Brandenburg derzeit noch ein für das Milieu typisches Revierverhalten mit gegenseitig zerdroschenen Autos, Bedrohungen, Einschüchterungsversuchen und tätlichen Auseinandersetzungen. Doch derzeit sei noch offen, ob nach mehreren blutigen Attacken in den vergangenen Monaten nicht doch mehr daraus werden kann, sagt Steffen Brand, Rocker-Experte beim LKA in Eberswalde.

Dass es einen, wie immer wieder in den Medien gemutmaßt, Rocker-Krieg in Berlin-Brandenburg gibt oder geben könnte, glaubt Brand nicht: „Von Krieg würde ich erst reden, wenn wir bundes- oder europaweit Zustände bekämen, wie in den 80er Jahren in Skandinavien.“ Dort hatten sich damals rivalisierende MC mit Bombenanschlägen und wilden Schießereien um Marktanteile im Rauschgiftgeschäft und groß angelegten Waffenhandel geliefert. „Das ist hier nicht möglich“, so Brand.

Zwei Dinge seien im Zuge der Auseinandersetzungen in der Berlin-brandenburgischen Szene derzeit möglich: Es sei einerseits wahrscheinlich, dass die Rockergangs einen Burgfrieden schließen müssen. „Das kommt auf die Bundesebene der Rockerklubs an“, so Brand. Die andere Möglichkeit sei eine regionale Eskalation der Gewalt zwischen den Hells Angels und den Bandidos sowie ihren jeweiligen Unterstützertrupps aus der Region. „Unter dem Druck der jeweiligen bundesweiten Dachorganisation der MCs ist beides möglich: Entweder die Oberhäupter wollen die Eskalation und die Vertreibung der gegnerischen Klubs aus der Region und schüren dies oder sie zwingen ihre lokalen Gruppen mit politischem Druck zu einem Burgfrieden“, so Brand weiter.

Egal, welche Variante im Süden Brandenburgs, wo die meisten märkischen Rocker wohnen, eintreten wird: Brandenburgs Polizei sei gut auf die Rockerkriminalität eingestellt, meint Dieter Büddefeld, Chef des Landeskriminalamtes. „Anders als in einem Stadtstaat wie Berlin müssen wir in einem Flächenland in der Bekämpfung der Rockerkriminalität andere Strategien und Strukturen nutzen“, so Büddefeld. Während in dem flächenmäßig überschaubaren Berlin das Landeskriminalamt für alle Bereiche der Kriminalpolizei zuständig ist, sind in Brandenburg die Zuständigkeiten auf Schutzbereiche, Präsidien und das LKA verteilt.

So sind für die alltäglichen Straftaten, die von Rockern begangen werden, und für die tätlichen Auseinandersetzungen die Schutzbereiche vor Ort und die beiden Polizeipräsidien in Potsdam und Frankfurt (Oder) zuständig. In Potsdam ist eine „Ermittlungsgruppe Rocker“ geschaffen worden, und das Polizeipräsidium Frankfurt hat zusammen mit dem Cottbuser Schutzbereich wegen der besonderen Situation im Süden eine so genannte Aufbauorganisation Rocker gebildet.

Beim LKA selbst, so Büddefeld weiter, kümmere sich in der Abteilung Auswertung Steffen Brand als so genannter Rocker-Ansprechpartner (ein vom Bundeskriminalamt geprägter Begriff) um die Taten aus der Szene und hält Kontakt zur Polizei vor Ort. Und da die Rockerklubs auch in Brandenburg Verbindungen in die Organisierte Kriminalität (OK) haben, sind einige ihrer Straftaten wie etwa der organisierte Handel mit Rauschgift ohnehin ein Fall für die Spezialisten des LKA.

„In Brandenburg sind die Rocker – anders als in vielen anderen Bundesländern – im OK-Bereich bisher nur im Bereich des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln aufgefallen“, sagt Helmut Klein, Chef der OK-Ermittler beim LKA. Nennenswerter Waffenhandel im großen Stil, mit dem weltweit Rockerklubs auch ihr Geld verdienen, sei in Brandenburg bisher nicht beobachtet worden, so Klein. Ein weiteres Geschäftsfeld, auf dem Rocker auch aktiv sind, sei strafrechtlich nicht mehr so einfach greifbar: die Förderung der Prostitution existiert in Deutschland so nicht mehr als Straftatbestand. Rocker würden zwar so genannte Modelwohnungen betrieben – aber so lange sie die Frauen nicht zur Arbeit am Kunden zwingen und ihnen nicht übermäßig viel Geld abverlangen, ist dies legal.

Halb legal arbeiten Brandenburgs Rocker auch in ihrem Hauptbetätigungsfeld – der Türsteherszene. In der Regel, so die Ermittler, werde das Sicherheitsgeschäft an Diskotür über legale Firmen abgewickelt. bundesweit gelingt es nur selten, nachzuweisen, dass diese Firmen ihre Kunden mit Gewaltandrohung oder anderen kriminellen Methoden zur Auftragsvergabe „bewegt“ haben. Meist werden die Sicherheitsfirmen, die die Rocker vor die Diskotür stellen, von Strohmännern geführt – in der Regel stecken kriminelle, polizeibekannte Rocker dahinter. Aber auch sind es nicht immer die MCs, die das Ganze organisieren. Darauf legt LKA-Ermittler Klein besonderen Wert: Wenn ein Rocker eine Straftat wie etwa Drogenhandel begeht, sei dies nicht automatisch „Rocker-Kriminalität“ – in der Regel handle es sich um die Straftat eines Kriminellen, der auch Rocker ist. Als organisierter Rockerkriminalität gilt, wenn Straftaten von einem MC organisiert ausgehen.

Dass aus der Berliner Polizei den brandenburgischen Kollegen immer wieder empfohlen wird, mehr Druck auf die Rockerszene auszuüben, sie im Alltag mehr zu gängeln, kann in Brandenburg so richtig niemand verstehen. OK-Ermittler Klein will die Berliner Empfehlungen nicht kommentieren. „Bei unseren Ermittlungen im Bereich der Organisierten Kriminalität geht es uns nicht darum, nur die örtlichen Strukturen und die untersten Ebenen aufzudecken und die Szene so zu verunsichern – uns geht es um die Hintermänner.“ Dafür brauche es auch einer gewissen Ruhe in der Szene.

Ohnehin zeigt die brandenburgische Rockerszene einige Besonderheiten gegenüber der Berliner, mit der sie eng verbunden ist. Anders als in der Hauptstadt, wo es kriminelle Rockerklubs seit Jahrzehnten gibt, hat sich eine feste Szene in der Mark erst vor sieben Jahren gebildet. Und in der Regel wurden hier nicht Rocker kriminell, sondern Kriminelle Rocker. „Die meisten Rocker etwa in der Region um Cottbus waren schon früher kriminell und teils im Drogenhandel tätig“ sagt LKA-Rocker-Experte Brand. Schon vor ihrer Rockerzeit seien etwa die meisten jetzigen Mitglieder der Hells Angels und der Bandidos in verfeindeten Gruppen – etwa im Drogenhandels- oder Türstehermilieu gewesen. Aus dieser Genesis der märkischen Rockerszene resultiert auch eine weitere Besonderheit: Ungewöhnlich viele rockernde Märker besitzen keinen Motorradführerschein. Daher steht auf der Liste der von Rockern begangenen Gesetzesverstöße auch das Motorradfahren ohne Führerschein weit oben.

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