Brandenburg: Todesrisiko Osten?
Neue Studie soll Brandenburger Kindstötungen erklären / Kriminologe Pfeiffer: Hohe Zahl ist Alarmsignal
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Potsdam - Der gewaltsame Tod von 13 brandenburgischen Kindern im vergangenen Jahr müsse als Alarmsignal gewertet werden, sagte der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts in Hannover, Prof. Christian Pfeiffer. Die Zahl sei „ungewöhnlich hoch“. Sie könne „ein Ausreißer sein, aber auch das Anzeichen einer problematischen Entwicklung in diesem Bundesland“, erklärte der Kriminologe gestern auf PNN-Anfrage.
Schon jetzt sei das Risiko eines Kleinkindes, getötet zu werden, im Osten der Republik zwei- bis zweieinhalbmal so groß wie im Westen, erklärte Pfeiffer. Aber selbst für Ostdeutschland sei die hohe Zahl der kindlichen Todesopfer „atypisch“, sagte Pfeiffer. Eine Tendenz könne man aber erst nach drei, vier Jahren ableiten.
Wie berichtet sind in den vergangenen beiden Jahren in Brandenburg mehr als doppelt so viele Kinder durch Gewalttaten oder Vernachlässigung ums Leben gekommen als im Bundesdurchschnitt. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass in Brandenburg viele Eltern in einer „bedrängten sozialen Lage leben“, sagte Pfeiffer. Denn Kinder seien eher in Gefahr, wenn die Eltern finanzielle Not leiden. Aber diese Begründung sei nur eine Vermutung, betonte der Kriminologe. Eine neue Studie soll jedoch Aufschluss darüber geben, wo die Ursachen und Hintergründe für unterschiedlichen Todesraten in Ost und West liegen. In der Untersuchung werde jeder Fall von Kindstötung seit 1995 genau erfasst, kündigte Pfeiffer an. Dafür würden die Biografien der Eltern und anderer beteiligter Täter erstellt. Im Mittelpunkt dieser Studie stehen Todesopfer zwischen 0 und sechs Jahren. Denn Kinder in diesem Alter seien am häufigsten von Misshandlung und Vernachlässigung betroffen. Nächstes Jahr werde die Untersuchung voraussichtlich abgeschlossen sein.
Allerdings seien einige der Risikofaktoren bereits heute bekannt. So hätten viele der misshandelnden Eltern als Kinder selbst keine Liebe erfahren. Sie hätten darum Angst vor jeglicher Bindung, selbst vor der zum eigenen Kind, erklärt der Kriminologe. Wichtig sei darum, dass man werdenden Müttern schon in den ersten vier Monaten der Schwangerschaft „die Angstblockaden nimmt“, so Pfeiffer.
Zudem steige die Gefahr für Kinder, wenn die Eltern isoliert leben, nicht gut vernetzt sind und darum nicht auf Hilfe von außen zurückgreifen können, so der Kriminologe. Sie seien mit der Erziehung schlicht überfordert. Ähnlich sieht es der Potsdamer Psychologie-Professor Günter Esser, der die Psychologisch-psychotherapeutische Ambulanz der Universität Potsdam leitet. Im einwohnerarmen Flächenland Brandenburg lebten einige Menschen so verlassen, dass die schützende Dorfgemeinschaft fehle, so Esser.
Doch auch Esser warnt vor voreiligen Rückschlüssen und Erklärungen. Der Psychologe hält es auch für unwahrscheinlich, dass das DDR-Erziehungssystem, in dem die meisten der brandenburgischen Täter aufgewachsen sind, etwas mit der hohe Todesrate bei Kindern zu tun haben könnte. Im Gegenteil hätten Vergleichsstudien in den 90er Jahren ergeben, dass Menschen, die im Osten aufgewachsen waren, seelisch gesünder waren als Gleichaltrige aus dem Westen. Gerade Kindern aus instabilen Familienverhältnissen habe es gut getan, dem Familienchaos zumindest während der täglichen Stunden im Kindergarten entfliehen zu können, erklärte Esser.
Juliane Wedemeyer
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