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Brandenburg: Tödlicher Transfer

Ein überfülltes Flüchtlingsboot kentert, fünf Menschen sterben. Der Hintermann kommt als Asylbewerber nach Deutschland. Ihm wird nun der Prozess gemacht – dank aufmerksamer Flüchtlinge

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Frankfurt (Oder) - Er kam als Asylbewerber nach Deutschland. Aber vorher hat er vermutlich selbst Flüchtlinge auf eine Bootsreise in den Tod geschickt. Ein 37-jähriger mutmaßlicher Schleuser aus Syrien kommt nun am Dienstag in Frankfurt (Oder) vor Gericht. So einen Fall hat es in Brandenburg noch nicht gegeben – und auch bundesweit ist er außergewöhnlich. Dass dem Syrer hierzulande der Prozess gemacht werden kann, ist aufmerksamen Landsleuten zu verdanken.

„Angehörige von Flüchtlingen, die mit einem seiner Boote tödlich verunglückten, hatten ihn wiedererkannt“, sagt der Frankfurter Staatsanwalt Martin Kramberg. Außerdem hätten Überlebende den mutmaßlichen Schleuser anhand von Fotos eindeutig identifiziert. „Seine eigenen Landsleute haben ihn sozusagen verpfiffen“, sagt Kramberg. Wahrscheinlich sei der Syrer kein Neuling im Schleuser-Geschäft gewesen. Er war im vergangenen Jahr in einem Flüchtlingsheim in Müncheberg (Märkisch-Oderland) festgenommen worden.

Laut Anklage hatte er im April 2014 eine Überfahrt für acht Syrer organisiert. Jeder von ihnen soll dem mutmaßlichen Schleuser 2400 Euro für die gefährliche Reise übers Mittelmeer gezahlt haben. Ein offenes „Miniboot“ mit nur einer Sitzbank – so beschreibt es der Staatsanwalt – startete mit zwei Bootsführern und den Flüchtlingen an der türkischen Küste. Ziel war die 48 Kilometer entfernte griechische Insel Rhodos. Doch dort kamen die zehn Leute auf dem überfüllten Schiff nicht an.

Die See sei unruhig gewesen, sagt Kramberg – so unruhig, dass der Kapitän den mutmaßlichen Schleuser während der Fahrt angerufen und gefragt habe, ob er die Tour abbrechen dürfe. „Das hat ihm der Schleuser jedoch untersagt“, sagt der Staatsanwalt. Ein Motorschaden stoppte schließlich die Fahrt. Hohe Wellen schlugen ins Boot, es kenterte. Die beiden Bootsführer und drei der Flüchtlinge ertranken. Die anderen Insassen wurden gerettet.

„Ohne Zeugen hätten wir den Hintermann dieses Unglücks nie gekriegt“, sagt Kramberg. Während des bis Mitte Juli angesetzten Prozesses sollen laut Gericht mehrere der Überlebenden aussagen, die heute in Europa leben. Der Angeklagte selbst habe bislang jede Aussage verweigert. Ihm drohen nun laut Staatsanwaltschaft 3 bis 15 Jahre Haft.

Dieser Fall sei „Neuland“ für die Frankfurter Schwerpunktstaatsanwaltschaft, sagt Staatsanwalt Kramberg. Über viele Jahre habe er es mit hierarchisch aufgebauten Schleuserbanden zu tun gehabt, die Flüchtlinge vornehmlich aus Osteuropa über die polnisch-deutsche Grenze gebracht hätten. Doch die Zeiten, in denen Schleuser Transfers vom Heimatland bis zum Wunschziel organisierten, seien längst vorbei.

Mit Blick auf die Flüchtlinge, die aus dem östlichen Nachbarland nach Deutschland kommen, sagt Kramberg: „Inzwischen braucht kein Flüchtling mehr so eine organisierte Reise, wenn er erst einmal in Polen angekommen ist“, sagt der Staatsanwalt. Taxifahrer, Mitfahrzentralen oder auch Studenten fungierten als Schleuser, um sich etwas dazuzuverdienen – eine illegale Organisation stecke meist nicht dahinter.

Diese Entwicklung bestätigt auch die Bundespolizei, die in den vergangenen Jahren Kampagnen unternahm, um diesem Geschäft Einhalt zu gebieten. Mit Unwissenheit könne sich heute niemand herausreden. „Jeder Taxifahrer in Polen müsste inzwischen über die Strafbarkeit des Einschleusens und die Folgen informiert sein“, sagt Thorsten Peters, Sprecher der Polizeidirektion Berlin. Auffällig sei in jüngster Zeit, dass häufig russische Kuriere ihre Landsleute über die polnisch-deutsche Grenze bringen.

Dort, im Brandenburger Grenzgebiet zu Polen, hatte die Bundespolizei im vergangenen Jahr 269 geschleuste Flüchtlinge entdeckt und 84 Schleuser festgenommen. Jeanette Bederke

Jeanette Bederke

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