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Von Sabine Beikler und Johannes Radke: „Trauer in Wut wandeln“
Ist die Anti-Atomdemo das richtige Signal nach der Katastrophe? Veranstalter und Politiker debattieren
- Sabine Beikler
- Johannes Radke
Stand:
Berlin - Rund 100 000 Atomkraftgegner werden am heutigen Samstag in Berlin erwartet. Gleichzeitig soll auch in Hamburg, Köln und München protestiert werden. Die Geschehnisse in Japan treiben viele Menschen auf die Straße, die bisher nicht zur Anti-Atom-Bewegung gehörten. „Wir rechnen mit 30 bis 50 Bussen und sehr vielen Menschen, die mit dem Zug anreisen“, sagt Demo-Anmelder Uwe Hiksch von den Naturfreunden Deutschland. Hiksch spricht von zwei Formen des Protests, die sich auf der Straße vereinen. „Die einen wollen lieber eine stille Trauer für die Opfer in Japan, die anderen möchten ihren Widerstand jetzt erst recht besonders deutlich und laut zeigen.“ Dafür soll unter anderem der Techno-Laster von „Atomkraft wegbassen“ sorgen, auf dem namhafte DJs auflegen. Ganz still wird es nur um 14.15 Uhr bei einer Schweigeminute für die Toten in Japan. Dass viele nicht nur trauern, sondern lieber konkrete Forderungen an die Regierung stellen, hält Hiksch für genau richtig. 30 Jahre in der Friedensbewegung hätten ihm gezeigt: „Die Trauer muss man in Wut verwandeln.“
Zu den Veranstaltungen unter dem Motto „Fukushima mahnt: Alle Atomkraftwerke abschalten!“ hat ein bundesweites Netzwerk von Anti-Atom-Gruppen und Friedensaktivisten aufgerufen. Künstler und Gewerkschaften unterstützen die Proteste. In Berlin soll unter anderem DGB-Chef Michael Sommer sprechen. „Wir sind Helden“ und weitere Bands geben ein kostenloses Konzert.
Aber ist eine solche Massenkundgebung das richtige Signal nach der Erdbeben-Katastrophe, die so viel Leid über Japan gebracht hat? Oder ist dies ein weiterer Beweis für die Selbstbezogenheit der Deutschen und deren Unfähigkeit zur Anteilnahme, die zum Beispiel der Publizist Klaus Hartung kürzlich in dieser Zeitung kritisiert hat? Zumindest in Berlin diskutiert die Landespolitik darüber. SPD, Linke und die Grünen in Berlin rufen zu der Demonstration auf. Für den Berliner Grünen-Bundestagsabgeordneten Hans- Christian Ströbele ist die Demo-Teilnahme eine „Selbstverständlichkeit. Ich gehe seit Jahrzehnten zu fast allen Anti-Akw-Demonstrationen in meiner Nähe.“ Ströbele sieht darin kein Symptom einer Selbstbezogenheit der Deutschen. Die japanische Regierung habe proklamiert, „dass sie mit den Folgen der Katastrophe allein fertigwerden will. Wir bieten wirklich jede Hilfe an“, sagt der Grüne.
„Wir reden viel über Befindlichkeiten. Den eigentlichen Anlass für so eine Demonstration, die menschliche Dimension nach der Katastrophe in Japan lassen wir aber außen vor“, kritisiert CDU-Generalsekretär Bernd Krömer. Die Debatten über Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken, das schwarz-gelbe Moratorium mitten in Wahlkampfzeiten hätten auch in der CDU zu „hektischen Diskussionen“ geführt. SPD und Grüne seien es aber, die die Katastrophe in Japan „instrumentalisiert haben, um ihr eigenes Süppchen zu kochen“. Einen Tag vor den Wahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zu einer Anti-Akw-Demo aufzurufen, sei Wahltaktik.
Er demonstriere nicht, damit seine Partei mehr Stimmen bekomme, sagt dagegen Ströbele. „Die Grünen demonstrieren gegen Akw auch, wenn kein Wahlkampf ist, und haben das immer getan.“ Die Partei sei schon immer Teil der Anti- Akw-Bewegung gewesen.
Statt schnellem Ausstieg setzt Berlins FDP-Fraktions- und Landeschef Christoph Meyer auf das schwarz-gelbe Moratorium, das Zeit ließe, über den Umgang mit Kernkraft nachzudenken „statt wie SPD, Grüne und Linke Panik zu schüren und Worst-Case-Szenarien an die Wand zu malen“. So eine „moralisch deutlich fragwürdige“ Debatte lasse die „humanitäre Diskussion über die Menschen in Japan völlig außen vor“, sagt Meyer. Wie Krömer wirft Meyer dem rot–grünen Lager vor, die menschliche Tragödie im Wahlkampf zu instrumentalisieren. Dem tritt SPD-Fraktions- und Parteichef Michael Müller entgegen. Auch in Wahlkampfzeiten sei ein klares Statement der Parteien zur Atomkraft erlaubt.
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