Brandenburg: Über Stunden fixiert
In drei Kinder- und Jugendheimen für besonders schwierige Jugendliche soll es extreme Strafaktionen gegeben haben. Das Bildungsministerium will die Vorwürfe gegen den privaten Betreiber prüfen
Stand:
Neuendorf - Schwere Vorwürfe gegen die Jugendhilfe-Einrichtungen des privaten Betreibers Haasenburg Gmbh: Nach einem Bericht der Berliner Tageszeitung taz sollen Kinder und Jugendliche in den drei Einrichtungen des Trägers unverhältnismäßig hart und körperlich bestraft worden sein. Dazu gehörten dem Bericht zufolge umstrittene Praktiken wie Hände, Füße und Kopf zu fixieren, teilweise über Stunden. Viele der Jugendlichen sollen außerdem starke Psychopharmaka verabreicht bekommen. Das zuständige brandenburgische Bildungsministerium in Potsdam will die Vorwürfe prüfen.
Ein Mädchen, dass in einer der drei Einrichtungen in Neuendorf, Jessern (Dahme-Spreewald) und Müncheberg (Märkisch-Oderland) untergebracht war, hat Anzeige gegen die Betreiber erstattet. Das bestätigte Hinrich Bernzen von der Hamburger Mediengruppe den PNN am Sonntag. Die Agentur ist für alle Anfragen an die Haasenburg GmbH zuständig. Beim Bildungsministerium weiß man von einer Anzeige nichts. Bekannt seien Beschwerden von Heimbewohnern, die aber seien zum Teil nicht nachvollziehbar, sagte Ministeriumssprecher Stephan Breiding. Das bedeute nicht, dass sie nicht stimmen können, das Ministerium könne es nur schlichtweg nicht überprüfen. „Anonyme Vorwürfe in der Zeitung helfen nicht bei der Aufklärung“, so Breiding. Die Betroffenen müssten sich an offizielle Stellen, an die Polizei wenden, gegebenenfalls Anzeige erstatten.
Die internen Dokumente und Protokolle, aus denen die taz zitiert und die diese teilweise brutal klingenden Maßnahmen beschreiben, liegen bislang ausschließlich der Zeitung vor. „Wir haben dort schon mehrmals angefragt, ob wir die Unterlagen einsehen können“, sagte Breiding. Bislang jedoch ohne Erfolg. Der Träger selbst habe erklärt, die Unterlagen seien so nicht bekannt oder lägen nicht vor. „Die beschriebenen Fälle liegen zudem Jahre zurück“, sagt Breiding.
Klar ist: Spätestens seit 2008 stehen die Einrichtungen der Haasenburg unter stärkerer Beobachtung. Damals war ein Mädchen in einem der Heime zu Tode gekommen. „Der Fall wurde aufgearbeitet, es kam aber zu keinem Ermittlungsverfahren. Ein tragischer Unfall“, sagt auch Bernzen, ein Verdacht auf Fremdverschulden habe aber nie bestanden. Trotzdem hat es in der Folge strengere Auflagen durch das Landesjugendamt gegeben. Unter anderem darf eine Hausordnung seit 2010 nicht mehr benutzt werden, in der es hieß: „6. Ich halte Distanz und habe keinen Körperkontakt! 7. Wenn die Jugendlichen in der Reihe stehen, ist der Mund geschlossen und der Blick nach vorne gerichtet. Es wird ca. eine Armlänge Abstand zum Vordermann gelassen!“
Doch nur einmal haben die Jugendamt-Mitarbeiter seit 2010 unangemeldet in einer der Haasenburg-Einrichtungen vorbeigeschaut. „Solche Besuche bringen relativ wenig, ein Fehlverhalten von Betreuern ließe sich so kaum nachweisen“, sagt Breiding. Gebe es hingegen konkrete Hinweise, könne man denen nachgehen und den Einzelfall aufklären. Die Mitarbeiter der Fachaufsicht versuchten dann herauszufinden, gegen wen sich der Vorwurf im Einzelnen richtet und ob sich die – mögliche – Misshandlung wiederholen könnte. Ist das der Fall, muss überlegt werden, ob Konsequenzen gezogen werden. „Aktuell gibt es so einen Fall bei einem anderen Träger in Frehne“, so Breiding. Dort soll es einen Übergriff eines Erziehers auf einen Jugendlichen gegeben haben, der erstattete Anzeige. Weil sich die Vorwürfe nicht entkräften ließen, sind die Jugendlichen vorerst auf andere Heime verteilt worden. Gegen die Einrichtungen der Haasenburg habe es – bis auf das eine laufende Verfahren – keine Anzeigen gegeben.
Bernzen und Breiding betonen, dass der Kontakt zwischen Jugendamt und Haasenburg sehr eng sei. Quasi im Wochenturnus tausche man sich aus, sagt Bernzen. Aber: Für die insgesamt 580 Jugendhilfeeinrichtungen in Brandenburg gibt es laut Breiding nur drei Mitarbeiter bei der Fachaufsicht. Nicht alle Einrichtungen seien so groß wie die Haasenburg und mit Sicherheit habe man dort die schwierigste Klientel. Nur dort gibt es geschlossene Plätze, in die Jugendliche ausschließlich über einen richterlichen Beschluss verwiesen werden können. Adäquate Plätze in anderen Heimen gibt es nicht, die Alternative sei oft der Jugendarrest oder die Psychiatrie, so Breiding.
„Die Haasenburg ist also auch eine letzte Chance für manche, um zu lernen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.“ Selbstbestimmung durch Drill und harte Reglementierungen also? Damit die Erzieher überhaupt körperlich werden dürfen, wie es im Fachjargon heißt, muss ebenfalls ein richterlicher Beschluss vorliegen. Viele der Jugendlichen, die in die Haasenburg-Heime aus der gesamten Bundesrepublik kommen, haben die schlimmsten Erfahrungen hinter sich, Gewalt, Drogen, Missbrauch, manchmal Prostitution. „Sie haben oft kaum Grenzen erfahren, die sollen ihnen in der Einrichtung gesteckt werden“, so Breiding.
Regelmäßige, systematische Fixierungen, also das Festhalten oder Festzurren der Hände, der Füße, des Kopfes, wie von der taz beschrieben, gebe es nicht, sagt Bernzen. Die Zeitung zitiert mehrere Betroffene, die davon berichten, einer sagt: „Mein persönlicher Rekord waren drei Tage am Stück.“ Natürlich müssten die Erzieher eingreifen, wenn ein Jugendlicher sich selbst verletze, sagt Bernzen. So ein Fall sei das tödlich verunglückte Mädchen gewesen, immer wieder habe sie ihren Kopf gegen die Wand geschlagen. Laut taz war die Konsequenz, dass sie dauerhaft Helm und Knieschützer tragen musste, auch nachts. Solche massiven Maßnahmen seien aber Einzelfälle, sagt Bernzen. „Werden sogenannte Anti-Aggressionsmaßnahmen durchgeführt, weil ein Jugendlicher sich oder andere gefährdet, muss über jeden Schritt Protokoll geführt werden, das auch der Fachaufsicht – in diesem Fall dem Landesjugendamt – zugestellt wird.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: