
© Thilo Rückeis
Von Matthias Matern: „Überwiegend Vieren und darunter“
Wie Tischlermeister Böhm geht es vielen Betrieben: Sie finden keine geeigneten Auszubildenden mehr
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Michendorf - Tischlermeister Rainer Böhm aus Michendorf (Potsdam-Mittelmark) hat die Hoffnung bereits aufgegeben. Zwar könne er sich aufgrund des harten Preisdrucks am Markt zusätzliche Personalkosten ohnehin nicht wirklich leisten, einen guten Auszubildenden würde er aber trotzdem einstellen, versichert er. Seit 1925 existiert der Betrieb im Michendorfer Ortszentrum, ausgebildet worden sei eigentlich immer, sagt Böhm. „Zumindest einen Azubi alle drei Jahre.“ Doch die Zeiten, als der Traditionsbetrieb aus dem Vollen schöpfen konnte, sind längst vorbei. Zwischen 20 und 25 Bewerbungen habe er früher pro Jahr bekommen, erzählt er. „Dieses Jahr war es bislang nur eine einzige, aber die Schulnoten waren zu schlecht. Überwiegend Vieren und darunter.“
Wie Böhm geht es immer mehr Betrieben und Unternehmen in Deutschland. Was noch vor wenigen Jahren als aufziehende dunkle Wolke vorhergesagt wurde, ist längst Realität. Trotz zahlreicher staatlich geförderter Ausbildungsmessen, Lehrstellenportalen und verordneter Praktika bleiben viele Ausbildungsplätze unbesetzt. Allein im Kammerbezirk der Handwerkskammer Potsdam sind anderthalb Monate vor Ausbildungsbeginn noch 660 Stellen offen. „Eine Rekordzahl“, meint Kammersprecherin Ute Maciejok. Im vergangenen Jahr blieben nur 533 Plätze frei. 2008 waren es noch 434. Betroffen ist aber nicht nur das Handwerk. Auch in der Industrie ist der Auszubildendenschwund mittlerweile deutlich spürbar.
„Vor rund drei Jahren hatten wir im Schnitt um die 300 Bewerbungen, jetzt sind es etwa 200“, erzählt Andreas Schlegel, Personalleiter bei der ZF Getriebe GmbH in Brandenburg an der Havel. Momentan beschäftigt der Autozulieferer am Standort 1100 Mitarbeiter, dazu 49 Industriemechaniker in Ausbildung. Da das Unternehmen als „größter industrieller Arbeitgeber der Region“ sehr attraktive Konditionen“ biete, sei ein akuter Mangel noch nicht zu verzeichnen, zumal man sich aus dem Angebot der Bewerber die besten aussuchen könne, berichtet der ZF-Personalchef. Zu bemerken sei jedoch das die Qualität der Anwärter im Schnitt schlechter geworden sei. „Nicht nur hinsichtlich der schulischen Leistungen, sondern auch betreffend der Einstellung zum Beruf. Der Anteil der Abiturienten bei uns ist stark gestiegen“, berichtet Schlegel.
So ist die Wirtschaft schleichend in eine Zwickmühle geraten. Nicht nur nimmt die Zahl der Schulabgänger wegen der demografischen Entwicklung von Jahr zu Jahr ab. Im Bereich der Industrie- und Handelskammer (IHK) Potsdamer in den vergangenen zwei Jahren von 34 000 auf 17 000. Außerdem scheinen die verbleibenden potenziellen Auszubildenden den Ansprüchen der Unternehmen nicht mehr zu genügen.
Potsdams IHK-Präsident Victor Stimming plädiert deshalb dafür die Lücken durch gezielte Werbung beim Nachbar Polen aufzufüllen. Bei der Handwerkskammer Potsdam und der Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) stößt der Vorschlag allerdings auf ein zurückhaltendes Echo. „Polen hat sich in den vergangenen Jahren wirtschaftlich sehr gut entwickelt und hat bereits selbst ein Fachkräfteproblem“, setzt Kammer-Sprecherin Maciejok dagegen. „Wer denkt, die leben dort immer noch hinter dem Mond, war schon lange nicht mehr in Polen.“ Außerdem könne es keine dauerhafte Lösung sein, europäischen Nachbarn Nachwuchs abzuwerben.
UVB-Sprecher Thorsten Elsholtz hält den Blick nach Polen zwar für durchaus legitim, verweist aber auch auf nach wie vor ungenutztes Potenzial in der Region. „Wichtig sind dafür Investitionen in das Bildungssystem.“ Rund zehn Prozent aller Jugendlichen verlassen die Schule ohne Abschluss. Verbessert werden müsse zudem die Zusammenarbeit von Berlin und Brandenburg. Für Schulabgänger, die in Berlin keinen Platz bekommen, könnte eine freie Stelle in Brandenburg durchaus attraktiv seien, so Elsholtz.
Margit Haupt-Koopmann, Chefin der Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit, fordert die Unternehmen indes zu Kompromissen auf. Es komme nicht allein auf die Schulnoten an. Firmen sollten den „Bewerbern die Chance geben, sich persönlich vorzustellen, und nicht nur nach Aktenlage zu entscheiden“, so Haupt-Koopmann.
Für Tischlermeister Böhm kein Problem. „Schulnoten alleine sind für mich eigentlich nicht ausschlaggebend“, versichert er. Früher habe er die Bewerber samstags zu längeren Gesprächen eingeladen. Doch Experimente kann und will sich Böhm nicht mehr leisten.
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