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Fluchtpunkt Bethanien. Gewöhnliche Berlin-Urlauber wohnen im Hotelzimmer. Die Roma-Familien, deren Angehörige sich als Touristen in der Stadt aufhalten, haben bei den Besetzern am Kreuzberger Mariannenplatz Quartier bezogen.

© David Heerde

Von Patricia Hecht und Ulrich Zawatka-Gerlach: Unerwünschte Gäste

In Berlin wird an einem runden Tisch nach Lösungen für eine 60-köpfige rumänische Großfamilie gesucht. Sozialsenatorin: Sollen nach Hause fahren

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Berlin - Der Berliner Senat und das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg wollen etwa 60 Roma, die im Haus Bethanien untergeschlüpft sind, möglichst schnell woanders unterbringen. Sozialstadtrat Knut Mildner-Spindler (Linke) legte den rumänischen Staatsbürgern sogar nahe, „die Heimreise anzutreten“. Und die Gesellschaft für Stadtentwicklung (GSE), die Bethanien verwaltet, drohte am Montag mit einer Räumungsklage.

Zurück nach Rumänien wollen die zehn Roma-Familien aber nicht. „Wir haben rund 100 Kilometer von Bukarest entfernt gelebt“, erzählt ein Mann, der müde und abgespannt wirkt. Der Grund, warum die Roma vor vier Wochen nach Berlin gekommen sind, sei die öffentliche Diskriminierung in der Heimat gewesen. „Dort sind wir als Zigeuner beschimpft worden und haben keine Arbeit gefunden. Die Kinder konnten nicht zur Schule gehen.“ Eine Rückkehr schließt der Mann aus: „Eher schlafen wir wieder im Park.“

Vor dem Bethanien sitzen und stehen einige Roma und ihre Kinder. Sie sprechen kaum oder kein Deutsch, immerhin steht ihnen ein ehrenamtlicher Übersetzer zur Seite. In Berlin haben sich die Rumänen nach eigener Aussage bisher nicht angemeldet und auch keine Unterstützung beantragt, weil sie nicht wussten, wo sie das tun können. Sie hätten allerdings nicht in eine Flüchtlingsunterkunft eingesperrt werden wollen und dies in Absprache mit der Besetzer-Initiative im Haus Bethanien abgelehnt. Gemeint ist das Angebot der Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (Linke), die Familien, darunter etliche Kleinkinder, im Flüchtlingsheim in der Motardstraße (Spandau) unterzubringen.

Aber auch die Unterstützer im Bethanien räumen ein, dass sie inzwischen an ihre Grenzen stoßen. Es fehle am Nötigsten, etwa an Windeln, sagte Tina Rudat von der Besetzer-Initiative, die den Roma zunächst Unterschlupf gewährt hatten. Am Freitagabend nahmen die Rumänen auch noch benachbarte Räume in Beschlag, die saniert worden sind, um dort eine Kita einzurichten. GSE-Chef Dieter Runke hat deshalb schon mit der Polizei gesprochen. „Wir wollen keine Räumungsaktion, müssen aber unser Hausrecht wahrnehmen“, so Runke. Für Familien mit vielen kleinen Kindern seien die Räume in Bethanien ohnehin nicht geeignet. „Wir setzen nun auf eine friedliche Lösung.“

Deshalb trafen sich Fachleute aus der Sozialbehörde und des Bezirks zu einem „Runden Tisch“. „Unser Angebot, die Roma in der Motardstraße einzuquartieren, halten wir aufrecht“, sagte eine Sprecherin der Sozialverwaltung. Im Gespräch mit den Familien könnten auch andere Möglichkeiten sondiert werden. Die Rumänen müssten aber verstehen, dass sie „keine geschützte Minderheit“ seien, die einen besonderen Status besitze. Die Roma sind mit einem auf drei Monate befristeten Touristenvisum aus dem EU-Mitgliedsland Rumänien eingereist. „Diese Freizügigkeit innerhalb der EU bedeutet aber, dass die Roma wirtschaftlich und versicherungstechnisch für sich selbst einstehen müssen“, so Stadtrat Mildner-Spindler.

Der Migrationsbeauftragte Günter Piening bestätigte dies. Nur wenn das Kindeswohl gefährdet sei oder eine akute Gesundheitsgefahr vorliege, müssten die Behörden tätig werden. Ansonsten seien die 60 Rumänen „Gäste Berlins“ mit befristetem Aufenthaltsrecht. Piening betonte, dass andere Rumänen, die mit einem Touristenvisum in die Stadt kämen, durchaus für sich selber sorgen könnten. „Sie mieten sich in preiswerten Pensionen ein, schlafen auf Campingplätzen oder notfalls im Auto.“ Seit 1. Januar 2007 ist Rumänien EU-Mitglied. Seitdem nutzen viele rumänische Roma die Gelegenheit, in den Frühlings- und Sommermonaten auch in Deutschland Einnahmequellen zu erschließen. Piening hält dies für ein „saisonales“ Problem, das mit der schwierigen Integration von Sinti und Roma, die nach 1945 in Deutschland sesshaft wurden oder in den neunziger Jahren aus den Balkanländern in deutsche Großstädte flohen, nichts zu tun habe. Allerdings gab es auch schon vor der EU-Erweiterung 2007 schon ein spezielles Unterkunftsproblem: Durchreisende Sinti- und Roma-Familien mussten für ihre Wohnwagen lange Zeit um Stellplätze kämpfen. Erst seit 1996 steht dafür von Mai bis Oktober der Stauraum des früheren Grenzübergangs Dreilinden zur Verfügung.

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