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Von Michael Klug: Unglaubliches Leiden

Urteil in Neuruppiner Inzestprozess erwartet

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Neuruppin - Die Aussagen der jungen Frau aus dem brandenburgischen Neuruppin beschreiben ein unglaubliches Leiden. Immer wieder, so sagte die 21-jährige Sarah im Verhandlungssaal zum Teil unter Tränen, habe ihr Vater Jürgen H. sie vergewaltigt. Zum ersten Mal im Alter von sechs Jahren habe er sie im Hobbyraum im Keller auf einen Tisch gesetzt und im Licht einer Neonlampe missbraucht. Später dann seien es Vergewaltigungen im Wald oder beim Angelausflug im Zelt gewesen.

Bis zu 400 Mal, so hat es Sarahs Anwalt Peter Supranowitz als Nebenkläger ausgerechnet, soll sich der 67-jährige Jürgen H. in den Jahren 1994 bis 1997 an seiner leiblichen Tochter und zugleich Stiefenkelin vergangen haben. In dem seit Mitte Oktober laufenden Prozess vor dem Landgericht Neuruppin wurden davon 19 Fälle verhandelt, an die sich Sarah genau erinnern kann. Gelingt es, sieben bis acht Missbräuche glaubhaft zu machen, drohen dem Angeklagten laut Supranowitz zwischen acht und zwölf Jahre Haft.

Am heutigen Montag will die 1. Große Strafkammer das Urteil verkünden. Ob Jürgen H., der sich während des Prozesses stets mit einer Baseballkappe und einem gelben Pappschild vor der Öffentlichkeit zu verstecken versuchte, im Anschluss ins Gefängnis muss, ist ungewiss. Einige Prozessbeobachter bezweifeln dies. Grund dafür sind vor allem Erinnerungslücken von Sarah. So sprach sie zu Prozessbeginn von einem roten Kleid, dass sie bei der ersten Vergewaltigung eine Woche nach ihrer Schuleinführung getragen haben will. Bei einer Aussage wenige Wochen zuvor war es noch ein Rock gewesen.

Hinzu komme, dass sich Aussagen von Sarah und ihrer Mutter stark ähnelten, sagt Annelie Dunand vom Sozialtherapeutischen Institut Berlin-Brandenburg (STIBB). „Inwieweit es sich bei dem Erzählten um eigene Erlebnisse Sarahs handelt, ist nur schwer nachzuvollziehen“, sagt Dunand, die seit 30 Jahren Missbrauchsopfer betreut und den Prozess beobachtet. Auch Sarahs Mutter Katrin L. hatte von verblüffend ähnlichen Erlebnissen berichtet wie ihre Tochter. „Angefangen mit der Schuleinführung, bei der Katrin das Gleiche beschrieben hat, gibt es viele auffällige Parallelen in den Berichten der beiden Frauen“, sagt Dunand. Sie sieht den Grund in einer starken Traumatisierung der 21-jährigen Sarah.

Immerhin hatte der Angeklagte im Prozess sexuelle Kontakte zur Mutter des Opfers eingeräumt, als diese noch ein Mädchen war. Die Tochter seiner damaligen Frau war zum Zeitpunkt der sexuellen Kontakte 15 Jahre alt. Aus diesem Verhältnis heraus wurde Sarah geboren, die ihren Vater jetzt des sexuellen Missbrauchs beschuldigt.

Für Verteidiger Uwe Meyer sind die Widersprüche in den Aussagen von Sarah die Grundpfeiler seiner Verteidigungsstrategie. Bereits vor Prozessbeginn hatte er auf die Unterschiede in den Aussagen Sarahs bei der Polizei und in den späteren Einlassungen hingewiesen. Auch während des Prozesses wurde Meyer aus seiner Sicht fündig. So existiert noch immer ein Kleid, welches Sarah nach einem der Missbräuche weggeworfen haben will. Eine Tat, bei der Jürgen H. mit ihr ungeschützt Geschlechtsverkehr ausgeübt haben soll, beschrieb Sarah dem Schöffengericht ebenfalls anders als früher. Am Ende des knapp vierwöchigen Prozesses steht für Meyer fest: „Etwas anderes als Freispruch kann ich nicht fordern.“

Michael Klug

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