zum Hauptinhalt
Im Visier der Behörden. Die Tat des Attentäters Anis Amri auf dem Breitscheidplatz wirft noch viele Fragen auf. Die rot-rot-grüne Koalition und auch die CDU wollen diese Fragen aber vorerst nicht von einem Untersuchungsausschuss klären lassen.

© Arne Dedert/dpa

Brandenburg: Unpolitische Aufklärung

Im „Fall Amri“ ernennt der Senat den Ex-Bundesanwalt Jost zum Beauftragten – und verhindert so einen Untersuchungsausschuss

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Stand:

Berlin - Der Senat wird voraussichtlich am nächsten Dienstag einen Sonderbeauftragten ernennen, der die Arbeit der Sicherheitsbehörden nach dem Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz unabhängig begutachten soll. Diese schwierige Arbeit wird nach Informationen dieser Zeitung der pensionierte Bundesanwalt Bruno Jost übernehmen. Der Sprecher der Innenverwaltung, Martin Pallgen, wollte dies weder bestätigen noch dementieren. „Wir äußern uns nicht zu Personalfragen, die noch nicht beschlossen sind.“

Damit ist die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur „Vorgeschichte, den Abläufen und Folgerungen“ des Anschlags vom 19. Dezember 2016 für das Land Berlin vorerst vom Tisch. Dem Vernehmen nach soll der künftige Sonderbeauftragte Jost noch vor den Sommerferien einen Zwischenbericht vorlegen. Mit einem Endbericht ist wohl erst zum Jahresende zu rechnen. Nach Informationen aus Koalitionskreisen haben sich die Regierungsfraktionen von SPD, Linken und Grünen mit der oppositionellen CDU informell auf ein solches Vorgehen geeinigt. Senatskanzleichef Björn Böhning soll an den Gesprächen beteiligt gewesen sein.

Der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Burkard Dregger, bezeichnete die Ernennung eines Sonderbeauftragten als einen „sehr interessanten Vorschlag“. Jedenfalls dann, wenn die Untersuchung von einem „Fachmann mit Reputation“ geführt werde, der Zugang zu allen Akten erhalte. Die Union werde in der Fraktionssitzung am nächsten Dienstag ihre Haltung offiziell beschließen. Ein Untersuchungsausschuss bleibe eine Option, wenn sich herausstellen sollte, dass der Sonderermittler nicht erfolgreich arbeiten könne. „Wir sind jederzeit in der Lage, einen Untersuchungsauftrag zu formulieren“, sagte Dregger. Aber es gehe jetzt vor allem um die „Effektivität und Praktikabilität“ der Fehleranalyse.

Die Initiative für einen Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses zum Verhalten der Sicherheitsbehörden im „Fall Amri“ ging Ende Januar von der FDP-Fraktion aus. Unterstützung bekamen die Liberalen bisher aber nur von der AfD – ohne die Christdemokraten wird das Quorum für die Einsetzung eines solchen Gremiums (ein Viertel der Abgeordneten) nicht erreicht. Ein Untersuchungsausschuss hat richterliche Befugnisse, kann weitreichend ermitteln, Zeugen anhören und vereidigen.

Angeblich soll es eine Absprache zwischen sozialdemokratisch geführter Senatskanzlei und dem ehemaligen Koalitionspartner CDU geben, dass der Bericht des Sonderbeauftragten Jost erst nach der Bundestagswahl fertig sein soll. Außerdem solle die Verantwortung für mögliche Fehler der Sicherheitsbehörden möglichst auf die Behörden in Nordrhein-Westfalen abgeladen werden. Ein solcher Zeitplan solle helfen, aus wahltaktischen Gründen Schaden vom ehemaligen Innensenator Frank Henkel (CDU) und dessen Nachfolger Andreas Geisel (SPD) abzuwenden. Dieser Hinweis wurde in Koalitionskreisen als „böses, parteipolitisch motiviertes Gerücht“ zurückgewiesen. Eine politische Instrumentalisierung des Terroranschlags sei tatsächlich unerwünscht, aber die unabhängige Untersuchung solle möglichst zügig abgeschlossen werden. Am Mittwoch meldeten rbb und „Berliner Morgenpost“ unter Berufung auf Dokumente des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, dass Amri stärker als bisher bekannt in dschihadistische Netzwerke eingebunden gewesen sein soll – was Aussagen des Bundesamtes für Verfassungsschutz relativiert, wonach es sich um einen „radikalisierten Einzeltäter“ gehandelt habe.

Der künftige Sonderbeauftragte Bruno Jost, der 2009 in den Ruhestand ging, gilt als profilierter Jurist. Als Oberstaatsanwalt war er seit 1992 am Bundesgerichtshof für Straftaten gegen die innere Sicherheit Deutschlands zuständig, dann wechselte er in die Abteilung für äußere Sicherheit und wurde im Jahr 2000 zum Bundesanwalt befördert. Von 2003 bis 2007 war Jost Geheimschutzbeauftragter der Bundesanwaltschaft, zuständig für Spionage und Landesverrat. 2012, da war Jost schon drei Jahre im Ruhestand, wurde er in die Bund-Länder-Kommission zur Untersuchung der NSU-Morde berufen.

Bundesweit bekannt wurde der Chefermittler, als er nach der Ermordung von vier iranischen Oppositionellen im Berliner Restaurant Mykonos 1992 die Ermittlungen führte. Bevor Jost nun in Berlin tätig wird, wandern erst einmal die Akten der Berliner Staatsanwaltschaft zum „Fall Amri“ nach NRW. Im Düsseldorfer Landtag haben CDU, FDP und Piraten einen Untersuchungsausschuss zur Rolle der Sicherheitsbehörden durchgesetzt. Berlins Generalstaatsanwalt Ralf Rother wurde als Zeuge geladen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })