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Ohne Orientierung. Jährlich rasten Hunderttausende Wildgänse wie hier bei Wriezen (Märkisch-Oderland) auf ihrem Weg in den Süden im Land Brandenburg. Wegen des dichten Nebels in der Nacht zu Freitag verloren offenbar viele Tiere die Orientierung und landeten in Panik auf Straßen und Autobahnen im Land. Es kam zu mehreren Unfällen.

© dpa

Brandenburg: Verhängnisvolle Notlandung

Wildgänse verloren im Nebel die Orientierung: Mehrere Verkehrsunfälle auf Brandenburgs Straßen durch notgelandete Tiere

Von Matthias Matern

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Potsdam - Beim verzweifelten Versuch, einen Weg aus dem dichten Nebel zu finden, sind in der Nacht zu Freitag im Land Brandenburg vermutlich weit mehr als 100 Wildgänse, wenigstens acht Kraniche und ein Schwan umgekommen oder schwer verletzt worden. In ihrer Panik steuerten die orientierungslosen Tiere vor allem auf Autobahnen und größere Straßen zu, deren Beleuchtung sich als diffuse Lichtquellen durch die Nebelschwaden abgezeichnet hatte. Bei der Notlandung knallten die verwirrten Vögel gegen fahrende Lkw und Pkw, flogen gegen Gebäudefassaden oder brachen sich beim Sturz auf die Fahrbahnen und Äcker Flügel und Beine. Bis zum frühen Nachmittag wurden allein der Einsatzleitzentrale des Landespolizeipräsidiums in Potsdam 13 Einsätze gemeldet, davon vier Verkehrsunfälle. Weitere Unfälle wurden im Laufe des Tages gemeldet. Personen seien nicht verletzt worden, sagte Präsidiumssprecherin Antje Conrad auf Nachfrage. Betroffen waren vor allem der südliche Berliner Ring, das Havelland, der Raum Frankfurt (Oder) und der Kreis Ostprignitz-Ruppin.

Angaben des brandenburgischen Landesumweltamtes (LUA) zufolge handelt es sich im Wesentlichen um sogenannte nordische Gänse, überwiegend Blessgänse und Saatgänse, die auf ihrem Weg aus Skandinavien und dem Baltikum in den Süden im Land Brandenburg rasten. „Die Tiere waren einfach desorientiert. So etwas kommt schon mal vor, doch in der Dichte ist mir das in den vergangenen 20 Jahren, die ich hier arbeite, nie begegnet“, zeigte sich auch LUA-Präsident Matthias Freude erstaunt.

Zugvögeln stehen drei Möglichkeiten zur Verfügung, um sich zu orientieren: Der Sonnenstand, die „angeborene Sternenkarte im Kopf“ und als „Hilfs-Navi das Erdmagnetfeld“, erläuterte Brandenburgs oberster Umweltfachmann. „In dieser nebligen Nacht haben alle Navigationssysteme versagt.“ Die Gänse hätten wohl versucht, sich stattdessen an die Lichter der Autos zu halten. „Schon am Vorabend, als ich auf dem Heimweg aus der Uckermark war, konnte ich hören, wie die Tiere versuchten, mit aufgeregtem Schnattern untereinander Kontakt zu halten“, so Freude weiter.

Wie viele Gänse und Kraniche in der Nacht zum Freitag ums Leben kamen, stand bis zum Redaktionschluss dieser Ausgabe noch nicht fest. „Derzeit läuft eine Abfrage bei allen Autobahn- und Straßenmeistereien“, sagte Freude.

Allein die Autobahnmeisterei Rangsdorf (Teltow-Fläming) sammelte nach Polizeiangaben auf dem südlichen Berliner Ring bis zum Mittag 25 verendete Tiere ein. An anderer Stelle seien die Beamten auf bis zu 20 lebende, aber teils verletzte Gänse gestoßen, die verwirrt umhergelaufen seien, berichtete Polizeisprecherin Conrad.

Alle der Potsdamer Leitstelle gemeldeten Unfälle bis auf einen ereigneten sich laut Angaben auf Autobahnen. So sei ein Tier auf der A10, dem Berliner Ring, bei Ludwigsfelde im Tiefflug von einem Lastwagen erfasst worden. Auf der A115 zwischen den Abfahrten Kleinmachnow und Potsdam-Babelsberg knallte ein Vogel frontal auf einen Pkw, ebenso auf der A24 bei Neuruppin und auf einer Bundesstraße im Kreis Havelland. Ebenfalls auf der A24 zwischen dem Autobahndreieck Wittstock/Dosse und der Anschlussstelle Herzsprung durchschlug ein Schwan die Frontscheibe eines VW Golf. Der 44-jährige Fahrer blieb unverletzt. Durch den Aufprall verendete das Tier. Das Fahrzeug war nach dem Unfall nicht mehr fahrbereit und wurde abgeschleppt. Auf der A111 nahe Stolper Heide konnte ein Mazda-Fahrer einem Kranich nicht mehr ausweichen. „Ich gehe aber davon aus, dass es noch weitere Unfälle gegeben hat“, sagte Antje Conrad. Ansonsten habe es keine erhöhte Zahl witterungsbedingter Unfälle gegeben.

Eingeschränkt waren die Gänse laut dem Ornithologen Tobias Dürr von der Vogelschutzwarte Buckow im Havelland nicht nur hinsichtlich ihrer Navigation. Dichter Nebel behindere überdies die Flugtauglichkeit der Tiere. Die feine Feuchtigkeit mache die Federn schwer und zwinge die nachtaktiven Tiere, niedriger zu fliegen als sonst, so Dürr. Der Nebel müsse die Vögel überrascht haben. In der Regel meiden sie einen Flug bei solcher Witterung, meinte der Experte. Die auf der A10 getöteten Gänse haben vermutlich am Rangsdorfer See, einem Naturschutzgebiet, gerastet.

Matthias Freude zufolge ist Brandenburg Hauptdrehscheibe für den Zug der Wildgänse. Allein am Rangsdorfer See versammeln sich jährlich bis zu 40 000 Tiere. Am Gülper See im Havelland sollen es sogar mehr als 100 000 sein.

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