Brandenburg braucht mehr Azubis: Verschenktes Potenzial
Brandenburger Unternehmen suchen händeringend Azubis – auch aus Berlin. Arbeitsagenturen, Kammern und Wirtschaftsverbände aber beklagen die bürokratischen Hürden zwischen den Ländern.
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Potsdam/Berlin - International vermarkten sich Brandenburg und Berlin als gemeinsame Wirtschaftsregion, bei der Berufsausbildung jedoch gehen die beiden Länder getrennte Wege. Angesichts vieler unbesetzter Lehrstellen in Brandenburg fordern Arbeitsagenturen, Wirtschaftsverbände und Kammern im Land jetzt jedoch den Abbau bürokratischer Hürden zwischen Berlin und Brandenburg. Weil Berliner Jugendliche, die sich für eine Lehrstelle im Umland interessieren, auch in Brandenburg eine Berufsschule besuchen und dafür häufig lange Wege in Kauf nehmen müssen, würden sich Bewerber aus der Hauptstadt oft doch gegen eine Ausbildung in Brandenburg entscheiden, beklagt Edelgard Woythe, Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit in Potsdam. Da es in Berlin anders als in Brandenburg mehr Bewerber als Lehrstellen gebe, werde aus ihrer Sicht erhebliches Potenzial verschenkt.
Die Zahl Berliner Azubis in brandenburgischen Unternehmen könnte Woythe zufolge um bis zu 30 Prozent steigen, wenn die Jugendlichen bei der Berufsschulwahl mehr Freiheit hätten. „Die jungen Leute haben zumeist noch keinen Führerschein und es gibt Regionen, da kommen sie mit öffentlichen Verkehrsmittel nur morgens hin und abends wieder zurück“, sagt Woythe. Besonders fatal sei es, wenn ein Bewerber etwa einen Ausbildungsplatz in Teltow, Oranienburg oder Schönefeld bekommen könnte, dann aber bis nach Cottbus oder Eberswalde zur Berufsschule fahren müsste, obwohl eine Berliner Berufsschule ein ähnliches Angebot vorweise, erklärt die Potsdamer Arbeitsagenturchefin. Eine weitere Hürde sei das durchschnittlich niedrigere Ausbildungsgehalt in Brandenburg. Die Vergütung liege rund 200 bis 300 Euro unter der in Berlin.
Dabei sind geeignete Lehrstellenbewerber in Brandenburgs Firmen immer gefragter. Der Arbeitsagentur zufolge sind rechnerisch für 9610 Bewerber insgesamt zwar nur 9162 Stellen im Angebot, aber in der Realität reiche die Zahl der potenziellen Auszubildenden in Brandenburg bei Weitem nicht aus. „Eigentlich bräuchten wir das Dreifache“, so Edelgard Woythe. Zum einen seien die individuellen Wünsche der Jugendlichen in der Rechnung nicht berücksichtigt, zum anderen sei nicht jeder Schulabgänger geeignet, die schulischen Grundkenntnisse oft nicht gut genug. Ein nicht unerheblicher Teil entscheidet sich zudem für eine Ausbildungsstelle in Berlin. Dort stünden aber bereits für 13 507 Bewerber nur 10 335 Stellen zur Verfügung.
Derzeit pendeln laut Arbeitsagentur täglich 5473 Brandenburger zur Lehre nach Berlin, doch nur 2301 Jugendliche fahren in entgegengesetzter Richtung zur Lehrstelle. Während Woythe bei der Ausbildungsvergütung die brandenburgischen Unternehmen im Zugzwang sieht, ist die Frage der Berufsschulpflicht Sache des brandenburgischen Bildungsministeriums. Dort allerdings verweist man auf die Möglichkeit, sich per Antrag von der Berufsschulpflicht befreien zu lassen und sieht „keinen weiteren Handlungsbedarf“. „Es gibt eine klare Regelung im Schulgesetz. Azubis aus Berlin können beim zuständige Schulamt einen Antrag stellen, ein Oberstufenzentrum in Berlin zu besuchen. Eine kurze Begründung reicht. In der Regel wird den Anträgen stattgegeben“, sagt Ministeriumssprecher Stefan Breiding. Die Antragstellung sei auch online möglich. Für das Schuljahr 2012/2013 seien insgesamt 332 Berliner mit Aussbildungsstelle in Brandenburg vom Berufsschulzwang befreit worden. Allein die Tatsache, dass überhaupt ein Antrag gestellt werden müsse, sei aber für viele Jugendliche bereits abschreckend, heißt es aus der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Arbeitsagentur. Dies zeige sich immer wieder in den Gesprächen der Berufsberater, heißt es.
Dem Bildungsministerium wirft Woythe vor, sich angesichts der demografischen Entwicklung vor allem um die Auslastung der Oberstufenzentren zu sorgen. Dies sei aber kurzsichtig, da sich die Entwicklung ohenhin nicht stoppen ließe, Berliner Azubis sich aber nach erfolgreicher Lehre möglicherweise in Brandenburg dauerhaft niederlassen könnten. „Ich wünsche mir einfach, dass sich die Rahmenbedingungen angleichen und wir diese Kleinstaaterei überwinden“, sagt die Arbeitsagenturchefin.
Unterstützung erhält sie von der Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK) und der Vereinigung der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) „Es ist nicht zuträglich für die Lehre, wenn man mehr auf der Straße ist als in der Ausbildung“, sagt IHK-Sprecher Detlef Gottschling. „Um eine weitere Verschränkung der Wirtschaftregion Berlin-Brandenburg kommen wir nicht herum.“ Das sieht auch UVB-Sprecher Frank Hufnagel so: „Angesichts der zunehmenden Schwierigkeiten bei der Besetzung der Ausbildungsplätze bietet ein gemeinsamer Ausbildungsmarkt in Berlin und Brandenburg Chancen, offene Lehrstellen mit Bewerbern aus dem anderen Bundesland zu besetzen.“ Die Wahl der Berufsschule sollte im Sinne der Unternehmen und Lehrlinge flexibel möglich sein.
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