Brandenburg: Viele Kinder werden vernachlässigt
Gespräch mit Günter Esser, Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Potsdam
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Gespräch mit Günter Esser, Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Potsdam Potsdam - In Deutschland werden nach Einschätzung eines Experten fünf bis zehn Prozent aller Kinder von ihren Eltern vernachlässigt oder abgelehnt. „Dabei reicht das Spektrum von der Vernachlässigung ihrer körperlichen und gesundheitlichen Bedürfnisse bis hin zu fehlender Zuwendung und mangelnder Anregung“, sagte Günter Esser, Professor für klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Potsdam, am Mittwoch in einem dpa-Gespräch. Dass Kinder wie der kleine Dennis aus Cottbus daran sterben, sei aber selten. Die Eltern von Dennis sollen ihr Kind so vernachlässigt und schlecht ernährt haben, dass es Ende 2001 starb. Die Leiche des Sechsjährigen lag danach zweieinhalb Jahre lang in der elterlichen Tiefkühltruhe. „Ablehnung und Vernachlässigung sind Subtypen von Misshandlung“, betonte Esser. Dabei sei die Vernachlässigung von Kindern insbesondere ein Problem der unteren sozialen Schichten. Besonders häufig sei eine ungewollte Schwangerschaft der Ausgangspunkt für einen Teufelskreis: „Die Eltern – oder nicht selten vom Vater des Kindes allein gelassene junge Mütter ohne Ausbildung – lehnen das Kind ab und fühlen sich völlig überfordert mit der Erziehung. Die Kinder werden dadurch immer verhaltensauffälliger und die Erziehung wird noch schwieriger.“ Nach Überzeugung von Esser ist es notwendig, dass die Gesellschaft - vom direkten Umfeld über Erzieher bis hin zu Jugendämtern und Gerichten – frühzeitig aktiv wird, sobald es erste Hinweise auf Vernachlässigung gibt. „Es darf nicht erst gehandelt werden, wenn die Kinder schon extrem verhaltensauffällig sind“, meinte der Psychologe. So halte er es für problematisch, dass Gerichte oft sehr zögerlich seien, wenn es darum gehe, Kinder aus Familien zu nehmen. Auch habe er oft das Gefühl, dass die Maßnahmen der Jugendämter hinter den Entwicklungsstörungen der Kinder herhinken. Zudem muss es laut Esser ein ausreichendes Angebot an Hilfen für überforderte Eltern geben. Die Möglichkeit einer Adoption sollte viel öfter zur Sprache gebracht werden. „Oft fehlt es auch nur an der ausreichenden Entlastung etwa durch Tagespflege“, betonte Esser. Ein flächendeckendes Krippensystem wäre da sehr hilfreich. „Viele der überforderten Eltern können die Kindererziehung sehr wohl bewältigen, wenn sie die Kinder tagsüber ,abgeben“ können und nur am Abend wenige Stunden mit ihnen zusammen sind.“ dpa
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