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Wissenschaftler mit Leib und Seele. Ingolf Hertel am Time of Flight Massenspektrometer im Max-Born-Institut in Adlershof.

© Uwe Steinert

Von Paul Janositz: Visionär und Netzwerker

„Mister Adlershof“ Ingolf Hertel tritt ab – und hat auch nach seiner Emeritierung noch viel vor

Stand:

„Ohne Ingolf Hertel wäre Adlershof nicht das, was es heute ist – eine Perle in der deutschen Wissenschafts- und Industrielandschaft mit Ausstrahlung nach ganz Europa“, sagt Stefan Jähnichen, Professor an der TU Berlin und Leiter des Fraunhofer-Instituts für Softwaretechnik. Der Kassenwart der „Initiativgemeinschaft für Außeruniversitäre Forschungseinrichtungen in Adlershof“ (IGAFA) weiß das genau, schließlich hat er mit dem Direktor am Max-Born-Institut so manche Schlacht geschlagen. Außerdem habe Hertel erkannt, dass das „Pfund“ von Adlershof die dort ansässigen außeruniversitären Einrichtungen seien.

Das strategische Gespür des frisch aus Freiburg gekommenen Physikprofessors war es wohl, das ihn 1992 zur Gründung der Initiativgemeinschaft veranlasste. Seit damals ist er deren Sprecher. Nun gibt er dieses Amt Ende September an Wolfgang Eberhardt ab, den Geschäftsführer des Helmholtz-Zentrums Berlin. Anlass für den Rückzug ist nicht Amtsmüdigkeit, sondern die Emeritierung von „Mister Adlershof“. Dass man Hertel mit Fug und Recht so nennen kann, geht nicht unbedingt auf sein Faible für die englische Lebensart zurück. Es liegt vielmehr an seinem großen Engagement für das traditionsreiche Areal.

Im Dezember 1991, erzählt Hertel, sei er erstmals über das „trostlose“ Gelände der ehemaligen Akademie der Wissenschaften der DDR gelaufen. „Da kann man was draus machen“, dachte er. Er suchte eine neue Herausforderung, nachdem er an der Uni Freiburg den Neubau des Materialforschungszentrums durchgesetzt hatte, an dem er einer der Gründungsdirektoren war. In Freiburg hatte der gebürtige Dresdner die Schule besucht und Physik studiert. An der neu gegründeten Uni Kaiserslautern wurde er schon mit 30 Jahren Professor, bevor er von 1978 bis 1986 an der FU Berlin als Ordinarius für Experimentalphysik lehrte. Später kehrte er nach Freiburg zurück, auf den Lehrstuhl seines „Diplomvaters“.

Dann kam die Wiedervereinigung. „Gibt es nicht einen Job in Berlin?“, fragten die Töchter, die in der Mauerstadt groß geworden waren. Es gab Jobs, etwa bei der Neubelebung von Adlershof, wo viele Institute der DDR-Akademie „abgewickelt“ wurden und das nach dem Willen des Berliner Senats zur „Stadt für Wissenschaft und Wirtschaft“ werden sollte. Und so wurde der Experimentalphysiker im Mai 1992 einer der drei Direktoren des Max-Born-Instituts für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) und im Juli 1993 wieder Professor an der FU. Das MBI war aus Teilen des ehemaligen „Zentralinstituts für Optik und Spektroskopie“ neu gegründet worden. So hatte es der Wissenschaftsrat empfohlen, doch darüber hinaus sei „damals nichts klar gewesen“, erinnert sich Hertel. Weder die Größe des Instituts noch der genaue Standort und erst recht nicht, wo das Geld herkommen sollte.

Nun kamen dem Physiker, der vor dem Studium eine Lehre als Laborant absolviert hatte, seine Freiburger Erfahrungen im Hochschulbau zugute. „Ich habe die Kosten für den Institutsneubau kurz mal hochgerechnet und kam auf 50 Millionen Mark“, erzählt er. „Jetzt ist er verrückt geworden“, hieß es angesichts dieses Betrages. Doch Hertel setzte sich durch.

„Wenn Ingolf Hertel etwas bewegen will, entwickelt er viel Kraft, Kreativität und Phantasie“, sagt Günter Stock, Präsident der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Und Manfred Gentz, Aufsichtsratvorsitzender der Deutschen Börse und ehemaliger Daimler-Finanzchef hat ihn als Menschen erlebt, der „langfristige strategische Ziele setzt, für die er andere zu gewinnen sucht.“ Dabei sei Hertel äußerst beharrlich, manchmal sogar stur, letztlich aber kompromissbereit. Beide, Gentz und Stock, kennen den Physiker auch als Mitstreiter in der Initiative „an-morgen-denken“, in der sich Vertreter aus Wirtschaft und Politik dafür einsetzen, den „kostbaren Rohstoff Bildung und Wissen“ für Berlin konsequent zu nutzen.

Derartige Aktionen sind dem Adlershofer Pionier auf den Leib geschneidert. Denn auch in Wirtschaft und Politik fühlt er sich zu Hause. „Hertel ist Visionär und geschickter Netzwerker zugleich“, sagt Hardy Rudolf Schmitz, Geschäftsführer der Wista-Management, der Betreibergesellschaft von Adlershof. Und Physiker-Kollege Wolfgang Eberhardt sieht die „Organisation der außeruniversitären Forschungseinrichtungen in den neuen Ländern“ als einen der größten Erfolge Hertels an. Dieser erreichte 1997 die Umbenennung in „Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz“, deren erster Präsident er wurde. Im Oktober 1998 holte ihn der damalige CDU-Senator Peter Radunski als Staatssekretär für Wissenschaft und Forschung.

Nach den Berliner Wahlen kehrte Hertel im Januar 2000 ohne Bedauern in sein Institut zurück. Der Ausflug in die Politik war „kurz, aber intensiv“, sagt er, „doch meine Welt ist die Wissenschaft.“ Sein Werkzeug ist das Licht. Er betreibt Grundlagenforschung mit Laserimpulsen, die nur den milliardsten Teil einer milliardstel Sekunde leuchten. Damit möchte er der Photosynthese auf die Spur kommen oder ergründen, warum das menschliche Erbgut, die DNS, relativ unempfindlich ist gegenüber UV-Strahlung.

Wie erfolgreich der Physiker war, zeigen unzählige Veröffentlichungen, Vorträge und Ehrungen. Mit 68 Jahren in den Ruhestand gehen zu müssen, geht ihm gegen den Strich. Das Kriterium dürfe nicht das Alter, sondern solle – wie in den USA – die Produktivität sein. Doch Hertel wäre nicht der gepriesene Netzwerker, hätte er nicht vorgesorgt. So wird er nicht nur als Emeritus die Betreuung seiner Doktoranden weiterführen. Er wird auch an der HU Berlin die „Seniorprofessur für die Weiterentwicklung der Lehrerausbildung im Fach Physik“ übernehmen, die die Wilhelm und Else Heraeus-Stiftung finanziert.

Daneben müsste Zeit bleiben, dem ersten Band von „Atome, Moleküle und optische Physik“, weitere folgen zu lassen. Ob er sein früheres Hobby, Cello zu spielen, wieder aufnehmen wird, weiß er noch nicht. Auch der 800 Quadratmeter große Garten in Bad Schwartau will gepflegt sein. Doch von „seiner“ Wissenschafts- und Technologie-Stadt wird Hertel so schnell nicht loskommen. Gerade ist er zum Ehrenvorsitzenden der IGAFA ernannt worden. „Vielleicht werde ich auch etwas über Adlershof schreiben“, sagt er.

Paul Janositz

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