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Brandenburg: Vom Musterlandkreis zum Sorgenkind
Einst galt der Teltow-Fläming-Kreis als wirtschaftliches Vorbild, inzwischen häufen sich die negativen Nachrichten
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Luckenwalde – Lange Zeit galt der Landkreis Teltow-Fläming als leuchtendes Vorbild. 2008 wurde er wegen seiner hervorragenden wirtschaftlichen Entwicklung sogar gleich zweimal zur deutschen „Kommune des Jahres“ gewählt. Innerhalb von nur fünf Jahren war die Arbeitslosenquote damals um sechs Prozent gesunken. Während anderenorts im Osten Gewerbeflächen teilweise noch wie sauer Bier angeboten wurden, schossen vor allem im berlinnahen Norden Teltow-Flämings Dependancen großer Konzerne wie Pilze aus dem Boden. Verwundert rieben sich Verwaltungschefs in ganz Ostdeutschland die Augen und fragten sich: Wie machen die das eigentlich in Luckenwalde? Inzwischen aber haben andere Kreise Brandenburgs deutlich aufgeholt, den ehemaligen Musterschüler sogar überholt. In Teltow-Fläming bahnt sich dagegen nach den schlechten Nachrichten von Mercedes aus dem vergangenen Jahr ein weiteres Fiasko an: Das Vorzeigeunternehmen der regionalen Luftfahrtbranche, MTU Maintenance Berlin-Brandenburg in Ludwigsfelde, muss mehr als 100 der insgesamt 700 Stellen abbauen.
Auslöser war nach Firmenangaben eine unerwartete Hiobsbotschaft. „Hintergrund ist, dass ein Großkunde sein Auftragsvolumen deutlich reduziert hat, sodass sich die Konzernleitung kurzfristig für einen Personalabbau entschieden hat“, bestätigt Unternehmenssprecherin Melanie Wolf auf PNN-Nachfrage. Einen guten Namen gemacht hatte sich das Ludwigsfelder Werk vor allem mit seinen hochmodernen Prüfständen für Flugzeug- und Industriegasturbinen. Unter anderem werden am Standort die Triebwerksmodelle der sogenannten CF34-Familie gewartet. Diese Antriebe des US-amerikanischen Mischkonzerns General Electric gehören zu den weltweit verbreitetsten und meistverkauften Triebwerken ihrer Klasse. Bei dem Kunden handelt es sich Wolf zufolge um eine internationale Flugesellschaft. Der Ausfall lasse sich nicht kurzfristig kompensieren. Allerdings sei es das Ziel, möglichst viele der betroffenen Mitarbeiter im Unternehmen zu halten und ihnen alternative Stellen in einem der anderen beiden deutschen MTU-Werke in München und Hannover anzubieten. „Bei einem gewissen Prozentsatz werden wir letztendlich aber auch Kündigungen ausprechen müssen“, räumt Wolf ein.
Gut einen Kilometer entfernt, im Mercedes-Benz Nutzfahrzeugewerk, hat man vieles davon schon hinter sich. Dort mussten 200 von insgesamt 2000 Beschäftigten gehen. Grund: Im vergangenen September ist die Produktion des Transporters Vario ersatzlos ausgelaufen. Der Vario war neben dem Model Sprinter das zweite Standbein des Werks. „Eine Reihe der Arbeitnehmer sind an andere Daimler-Standorte verliehen worden, haben aber eine Rückkehroption“, berichtet Hermann von Schuckmann von der IG Metall. „Wir hätten gerne ein anderes Produkt nach Ludwigsfelde geholt. Das ist uns aber nicht gelungen“, räumt der Gewerkschafter ein. Eine weitere kritische Phase werde es geben, wenn 2016 auch die Produktion des VW Crafter auslaufe, den Volkswagen von Mercedes in Ludwigsfelde bauen lasse. Sowohl der Turbinen-Fabrik von MTU als auch dem Daimler-Werk räumt von Schuckmann aber grundsätzlich gute Zukunftschancen ein. „Wo in der Welt finden sie ein Automobilwerk, wo nur Facharbeiter arbeiten?“ MTU sei ein Unternehmen, das seit Jahren hervorragend dastehe, Gewinne mache und ohne Verluste durch die Krise gekommen sei, meint der IG Metaller. „Ludwigsfelde spielt dabei eine gute Rolle und steht fachlich und wirtschaftlich gut da.“
Der lange hochgelobte wirtschaftliche Erfolg im Landkreis ist eng verbunden mit dem Namen Peer Giesecke. Fast zehn Jahre, von 1993 bis 2012, führte der SPD-Mann die Kreisverwaltung, nordete die Behören auf einen investorenfreundlichen Kurs ein, sorgte dafür, dass etwa Anträge nicht länger in den Amtsstuben herumlagen als nötig. Im Kreisnorden trieb er den Ausbau der Bundesstraße 101 voran, die den Aufschwung in die Tiefe des Kreises bringen sollte. Im strukturschwachen Süden unterstützte er zudem die Entstehung des Tourismusmagneten Fläming Skate, eines der größten zusammenhängenden Streckennetze für Inlineskater und Radfahrer in Europa. Vor zwei Jahren dann stürzte Giesecke – über sich selbst. Wegen Korruptionsvorwürfen und eines Strafbefehls der Staatsanwaltschaft wurde er im Dezember 2012 vom Kreistag abgewählt. Der Anfang vom Ende?
Mittlerweile sitzt die frühere verkehrspolititische Sprecherin der Linke-Landtagsfraktion, Kornelia Wehlan, im Landratssessel. Gewerkschafter von Schuckmann spricht die Kreisverwaltung frei von jeglicher Verantwortung für die negativen Schlagzeilen der jüngeren Vergangenheit. „Die positiven Standortfaktoren sind nach wie vor gegeben, zum Beispiel die hervorragende Verkehrsanbindung. Nach wie vor werden Anträge zügig beantwortet.“ Und dennoch: „Es ist schon so, dass die Industriebetriebe im Kreis überwiegend keine starke Wachstumstendenz mehr zeigen, sondern bestenfalls stagnieren. Das gilt auch für Schaeffler in Luckenwalde“, sagt Hermann von Schuckmann. Lediglich aus dem Güterverkehrszentrum (GVZ) Großbeeren und von Rolls -Royce aus Dahlewitz kommen derzeit gute Nachrichten. Erst vor drei Jahren weihte Rolls-Royce dort ein 65 Millionen Euro teures Turbinentestzentrum ein.
Im Vergleich zu den Nachbarkreisen Dahme-Spreewald und Potsdam-Mittelmark aber steht die Wirtschaft in Teltow-Fläming auf der Bremse, findet auch Edelgard Woythe, Chefin der Agentur für Arbeit Potsdam, die für Teltow-Fläming zuständig ist. „An den Jahreseckwerten lässt sich erkennen, dass wir bei der Arbeitslosigkeit überall in unserem Bezirk eine rückläufige Entwicklung haben, nur nicht in Teltow-Fläming“, so die Arbeitsagentur-Chefin. Im jüngsten Prognos-Zukunftsatlas sei der Kreis zudem im Ranking der 402 am besten aufgestellten Regionen Deutschlands auf Platz 306 abgestürzt. Vor knapp zehn Jahren startete Teltow-Fläming als ostdeutscher Leuchtturm im guten Mittelfeld auf Platz 226. Vom Wirtschaftsmagazin Focus-Money wurde wie berichtet gerade der Landkreis Oberhavel und nicht Teltow-Fläming als wirtschaftsstärkster Landkreis in Ostdeutschland gewählt.
Zu den jüngsten negativen Meldungen von Mercedes und MTU kommt dazu, dass sich auch vor Jahren eingefädelte Hoffnungsträger nicht so entwickeln wie gewünscht. Der 1997 eingerichtete Biotechnologiepark Luckenwalde zum Beispiel, ebenfalls ein Prestigeobjekt Gieseckes, entpuppt sich offenbar als Rohrkrepierer. „Das, was da an Investoren erwartet wurde, ist nicht eingetroffen“, sagt Woythe. Für den prognostizierten Fachkräftebedarf im Biotechnologiepark sei zwischenzeitlich sogar eigenes Qualifizierungsprogramm aufgelegt worden, berichtet sie. „Aber nur zwei oder drei Absolventen sind genommen worden. Wir haben das Programm wieder eingestellt.“
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