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Brandenburg: Von wegen auf leisen Pfoten

Es muss nicht unbedingt ein Blindenhund sein: Wie Annett Helm aus Berlin ihre sechs Siam-Katzen „sieht“

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Es muss nicht unbedingt ein Blindenhund sein: Wie Annett Helm aus Berlin ihre sechs Siam-Katzen „sieht“ Von Hans-Rüdiger Bein Berlin. Annett Helm und ihre sechs Siamkatzen wären ein ideales Kandidatenteam für Thomas Gottschalks „Wetten, dass?“ Die 28-jährige Berlinerin erkennt ihre Haustiere am Geräusch des Schmatzens am Futternapf. Ob Flippy, Mauro, Buffy, Sina, Nora oder Debby, „Frauchen“ weiß sofort, welcher ihrer Lieblinge gerade schlabbert. Das allein wäre heutzutage nichts Besonderes, und das ist auch nur der lustige Teil der Geschichte einer Tierliebhaberin. Annett Helm ist blind von Geburt an. Ihr nicht einfaches, von Schicksalsschlägen geprägtes Leben, meistert sie gemeinsam mit ihren Miezen. Man könnte sagen, die anschmiegsamen Vierbeiner hätten ihr Leben in schwieriger und depressiver Lage sogar gerettet. Die Siamkatzen sind aus mehreren Gründen perfekte Partner für eine blinde Besitzerin. „Meine Tiere quatschen viel durch die Gegend, die sind alle richtig gesprächig“, sagt Annett Helm. Ihr geschärfter Hörsinn unterscheidet die Tiere ganz exakt auch nach ihrem Miauen und ihrem Schnurren. Auch jede der kätzischen Bewegungen - und die tip-top gepflegten Tiere springen verspielt durch die piekfein saubere und aufgeräumte Wohnung in Tempelhof - „verfolgt“ die Tierbesitzerin. „Ich sehe jede ganz genau durch den Glockenklang.“ Sie sagt, sie „sieht“. Jede Katze trägt zwei Glöckchen um den Hals. Die unterschiedlichen Klang- Kombinationen „identifizieren“ sie, auch beim Sprung auf einen der vielen Kratztürme oder beim „Ausflug“ auf den sicherheitshalber vernetzten Balkon. In ihrer Wohnung ist Annett Helm so ausgefuchst, dass sie nirgendwo mehr anstößt. Draußen im Leben „eckte“ sie allerdings an: Ein Tierarzt fragte sie empört: „Wie können Sie als Blinde Katzen halten?“ und löste den Besuch eines Tierheim-Inspektors aus. Der Experte sah sich die Zustände an, prüfte die Betreuung durch die Blinde und entschuldigte sich bei ihr. Er war schnell überzeugt von der Hygiene und der besonders sorgfältigen, artgerechten Haltung der Tiere. „Kämmen, Bürsten, Fellpflege ist keine Frage von guten Augen, sondern von Fingerspitzengefühl“, heißt es in einem Bericht des Fachmagazins „Geliebte Katze“ über die blinde Tierfreundin. Tierheim-Chefin Carola Ruff sagt zwar grundsätzlich: „Man soll in der Wohnung nicht mehr Tiere betreuen als man Hände hat.“ Aber wenn die Tiere nicht apathisch herumsitzen und als Zeichen des Wohlergehens viel kommunizieren und sich bewegen, sei alles in Ordnung. Vom Berliner Blindenverein sagt Volker Lenk: „Blinde sollen privat so leben können wie andere auch. Wir unterstützen das Recht auf Individualität.“ Blinde und Tiere würden allerdings meist nur in Verbindung gebracht mit dem klassischen Blindenhund. In Berlin leben nach Schätzungen etwa 5000 Blinde. 40 Blindenhunde sind im Einsatz. Annett Helm hat es eben mit Katzen. Flippy und Mauro rasen gerade im Sauseschritt um die Ecken und durch einen langen Spielzeugtunnel vor dem großen Bücherschrank. Die Halsglöckchen klingeln und scheppern. „Flippy, Mauro“, nicht so dolle“, werden sie besänftigt. Buffy sitzt auf der Fensterplatte über der Heizung, wärmt sich den Bauch. Von der Küche her schmatzt es. „Das ist Debby“, sagt Annett Helm. Aus dem Flur ist ein Scharren zu hören. Eine Siam schabt in der Streu auf einer der Katzentoiletten. Annett Helm weiß jetzt erstmals nicht, welches der beiden restlichen Tiere es ist. So ist es auch, wenn die Rasselbande als zusammengerolltes Fellknäuel auf ihrem Bett schläft. „Da kann ich keine mehr auseinander halten, weiß nicht, wo oben und unten, hinten und vorn ist. Aber das macht nichts.“ Sie lächelt, als sie das sagt und streichelt den auf leisen Pfoten herbei geschlichenen Buffy.

Hans-Rüdiger Bein

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