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Brandenburg: Wie man sich bettet
Wer in Berlin Prostituierte werden möchte, kriegt bei dem Verein Hydra viele nützliche Tipps. Warum sie diesen Weg gehen will, wird unsere Autorin nicht gefragt. Ein Selbstversuch
Stand:
Hundert Euro pro Stunde“, sagt die junge, hübsche Frau, die mir gegenüber auf einem tiefen Sofa sitzt, in Trainingshose, mit schweren Stiefeln und bunter Brille. „Mehr kannst du in Berlin als selbstständige Prostituierte nicht verlangen, wenn du viele Kunden willst. Die Stadt ist arm, das merkt man auch im Sex-Geschäft. Wenn du mehr verlangst, hast du wenig Freier.“
Ich stecke mitten in der Einstiegsberatung für angehende Prostituierte des Berliner Prostituiertennetzwerks Hydra. Sexarbeiter haben den Verein 1983 gegründet, um „den sozialen Schutz und die kulturelle Integration von Prostituierten“ zu fördern sowie die „berufliche Bildung als Hilfe zum Umstieg in andere Berufe“. Seit einigen Jahren bietet der Verein außerdem eine Einstiegsberatung (inklusive Steuerberatung) an. Die junge, hübsche Frau berät Berufsanfänger. Sie besucht als Escort-Lady ihre Freier zu Hause oder im Hotel.
Über eine Berufsberatung für Prostituierte, wie sie Hydra und fast alle anderen Beratungsstellen für Prostituierte in Deutschland anbieten, gibt es so unterschiedliche Meinungen wie über Prostitution selbst. Alice Schwarzer und große Teile der Frauenbewegung setzen es mit Sklaverei gleich, wenn man den eigenen Körper zum Gegenstand einer Geschäftsbeziehung macht. Sie sagen, keine geistig gesunde Frau würde sich freiwillig prostituieren. Deshalb wollen sie Prostitution abschaffen, eine Berufsberatung halten sie folglich für falsch.
Die Prostituierten von Hydra, die sich selbst übrigens auch als Feministinnen bezeichnen, kontern, Schwarzer und Co seien unfähig „zwischen Prostitution als Institution einer patriarchalischen Gesellschaft und Prostitution als daraus resultierender Möglichkeit des Gelderwerbs für Frauen zu differenzieren“. Die Einstiegsberatung sei wichtig, damit Prostituierte eben keine Opfer seien, sondern selbstbewusste, emanzipierte Frauen, die sich bewusst für den Beruf entscheiden.
Bärbel Ahlborn sieht das ähnlich. Sie ist Sprecherin des Bündnisses der Fachberatungsstellen für Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter und die Leiterin der Prostituierten-Beratungsstelle Kassandra, dem Pendant zu Hydra in Nürnberg. Sie erklärt: „Der Konkurrenzdruck unter Prostituierten ist hoch. Es ist nicht üblich, dass Kollegen Informationen weitergeben oder sich austauschen.“ Umso wichtiger sei es, dass Einsteiger und angehende Sexarbeiter – etwa 80 Prozent der Besucher der Berufsberatungen arbeiten bereits als Prostituierte – bei einer neutralen Stelle nachfragen könnten. „Frauen und Männer, die sich überlegen, als Prostituierte zu arbeiten, brauchen realistische Informationen über den Beruf. Sie müssen auf Fallstricke, Probleme, Illusionen und Auswirkungen im Lebenslauf hingewiesen werden.“
Meine Beraterin will mir vor allem praktische Tipps für den Berufsalltag mitgeben. Zum Beispiel nennt sie drei Spielregeln für selbstständige Prostituierte. „Erstens: Du brauchst ein Back-up, einen Vertrauten, dem du bei deiner Ankunft beim Freier eine Nachricht schicken kannst, mit der Adresse des Hotels und mit der Nummer des Kunden.“ Der Freund oder die Freundin wisse dann, dass ich sie in einer Stunde anrufen werde. Tue ich das nicht, ruft sie im Hotel an oder fährt gleich hin, je nach Absprache. Dem Freier sollte ich mitteilen, dass ich einer Freundin/einem Freund Bescheid sage – damit er weiß, dass jemand auf mich aufpasst und nicht auf dumme Gedanken kommt. „Zweitens: Kassiere immer am Anfang. Dann müsst ihr beide euch über das Geld keine Gedanken mehr machen. Du brauchst keine Angst haben, dass er nicht zahlt. Und der Kunde kann – wenn er will – vergessen, dass er für den Sex mit dir bezahlt.“ Und: „Drittens: Gib nie das Geld zurück, auch wenn der Kunde sagt, es hätte ihm nicht gefallen.“ In einem solchen Fall solle ich antworten, er hätte besser erklären müssen, was er sich vorstellt.
Und irgendwann springt sie auf, fragt „weißt du, wie man ein Kondom mit dem Mund überzieht?“ und erklärt im Hinausgehen, das sei eine gute Methode, um diesen notwendigen, aber unangenehmen Teil schnell und spielerisch hinter sich zu bringen. Sie kommt wieder mit einem pinkfarbenen Vibrator und einem Kondom, das sie sich – zurück auf dem Sofa – in den Mund steckt und dem Vibrator überstülpt.
„In der Beratung geht es natürlich auch ganz praktisch darum, wie man den Beruf sicher ausübt, wie man sich schützen kann“, sagt Bärbel Ahlborn von Kassandra. „Dabei ist wichtig, den Klienten klarzumachen, dass immer sie selbst entscheiden sollten, was gemacht wird.“
Ich dürfe nie vergessen, dass ich die Chefin sei, sagt auch meine Beraterin von Hydra, eher nebenbei. „Das ganze Gequatsche über die armen Huren, die von ihren Freiern missbraucht werden, ist Bullshit. Du entscheidest, was du machst, nicht der Kunde.“ Und wenn der Freier einfach das Kondom abzieht? „Dann beendest du die Sache und wirfst ihn raus.“ Hat sie noch nie Probleme mit einem Freier gehabt? Sie schüttelt den Kopf.
„Prostitution ist für das eigene Selbst nicht ungefährlich. Frauen und Männer, die das machen, entfremden sich von sich selbst“, sagt die Berliner Psychologin Susanne Dierich. Für ihre Diplomarbeit hat sie sich mit vielen Prostituierten über ihren Beruf unterhalten. Eine Beratung für Berufseinsteiger hält sie nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen für sinnvoll. „Den Interessierten muss dort unbedingt klargemacht werden, welche psychologischen Gefahren der Beruf birgt. Die Berater müssen die Frauen und Männer zum Nachdenken bringen: Wieso will ich das machen? Was kann mit mir passieren?“
„Du musst mit Zweifeln rechnen“, erklärt meine Beraterin erst, als ich frage, ob sie schon mal bereut hat, den Job gewählt zu haben. Wieso ich den Job machen will, interessiert sie nicht. Dass ich in Wirklichkeit Journalistin bin, weiß sie nicht. Sie sagt lapidar: „Sexarbeit ist Arbeit, aber es ist eben auch Sex – und damit etwas sehr Intimes.“ Da könne es schon passieren, dass einem die Arbeit näher gehe, als man möchte. „Glaubst du, dass deine Freunde und dein Partner deinen neuen Job akzeptieren würden?“, fragt sie mich. „Du musst dir in jedem Fall klarmachen, ob du ein Doppelleben führen kannst und willst oder nicht.“ Und ich könne nicht viel Verständnis für meinen neuen Job erwarten. „Selbst wenn deine Freunde cool damit umgehen, ist es wahrscheinlich, dass die wenigsten sich mit Problemen in deinem Job auseinandersetzen wollen. Die meisten denken, wenn man schon einen solchen Job mache, müsse man alles, was damit zu tun hat, super finden.“ Das sei natürlich Blödsinn. Sex mit dem Kunden könne schon mal Spaß machen, aber das sei die absolute Ausnahme.
Bärbel Ahlborn von Kassandra ist es wichtig, ihren Klienten mitzugeben, dass sie sich immer auch wieder gegen den Beruf entscheiden können. Das gelte besonders für Interessierte, die noch keine Erfahrung haben. Es mache einen Unterschied, ob man sich vorstellen könne, als Prostituierte zu arbeiten, oder ob man es wirklich tut.
Als ich gerade gehen will, sagt meine Beraterin zu mir: „Mach dir klar, dass Sexarbeit in unserer Gesellschaft ein Stigma ist – und dass es das für dich selbst auch sein kann. Vielleicht merkst du das erst, wenn du den Job schon eine Weile machst.“
Für den Fall hat Hydra – wie alle anderen Beratungsstellen in Deutschland – übrigens eine Ausstiegsberatung im Angebot. Dort helfen Sozialarbeiter den Prostituierten bei der beruflichen Neuorientierung, inklusive Karriereplanung, Bewerbungscoaching und Ideenentwicklung.
Elli Bahr
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