Brandenburg: „Wie sonst?“
Brandenburgs NSU-Untersuchungsausschuss: Experten halten V-Leute für unverzichtbar
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Potsdam - Trotz des Skandals um „Piatto“, um den kriminellen V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes, den Neonazi Carsten Szczepanski, dessen Hinweis auf das braune NSU-Terrortrio in den Panzerschränken der Behörde schmorte: Am Freitag haben sich im NSU-Untersuchungsausschuss des brandenburgischen Landtages unabhängige Sachverständige gegen einen Verzicht auf V-Leute ausgesprochen, wie es im Land unter anderem die Linken samt Abschaffung des Verfassungsschutzes insgesamt fordern. Aber auch die Grünen sehen das V-Mann-Wesen kritisch. Allerdings mahnten beide angehörten Wissenschaftler, Hans-Jürgen Lange, Präsident der Deutschen Hochschule der Polizei, und Heinrich Amadeus Wolff, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Bayreuth, präzisere, strengere Regelungen für die Führung von V-Leute an. Für Spitzel also, die für den Verfassungsschutz – oft angeheuert gegen Geld – extremistische und terroristische Organisationen ausspähen. Den Ball sehen beide Experten vor allem bei der Politik, beim Gesetzgeber, etwa für Regelungen zur Weitergabe von Informationen des Nachrichtendienstes und eine künftig in Brandenburg stärkere parlamentarische Kontrolle.
„Sie haben unter allen Bundesländern das schwächste Kontrollgremium. Sie haben sich selbst keine Befugnisse zugewiesen“, sagte Wolff. Und Lange betonte, dass man diese Entscheidungen nicht den Behörden selbst überlassen sollte: „Es ist Aufgabe der Politik, dieses Gelegenheitsfenster zu nutzen.“ Man frage ja auch nicht den TÜV danach, mit welchen Tricks man sein Auto am besten durchbekomme.
Der Obmann der Linken im Untersuchungsausschuss, Brandenburgs Ex-Justizminister Volkmar Schöneburg (Linke), versuchte, die beiden Wissenschaftler ins Kreuzverhör zu nehmen, die den Einsatz von V-Leuten zwar für schwierig und problematisch, aber trotzdem für unverzichtbar halten. Um das NSU-Trio seien nach den bisherigen Erkenntnissen zehn V-Leute platziert gewesen, ohne dass die Mordserie verhindert werden konnte, sagte Schöneburg. „Die Praxis muss radikaler hinterfragt werden, nämlich strukturell“, sagte er.
Es sei ein sehr schwieriges Thema, auch emotional, erst recht seit dem NSU, sagte Lange. Rational betrachtet habe der Verfassungsschutz aber lediglich vier mögliche Instrumente: Er könne öffentliche Quellen auswerten, technische Überwachung wie das Abhören vornehmen mit der Nebenwirkung des Abhörens vieler Unbeteiligter, „was nicht gewollt ist“. Er könne Beamte als „verdeckte Ermittler“ einschleusen, „was nicht praktikabel“ ist – und eben V-Leute aus den Szenen selbst anheuern. Ein Verzicht auf V-Leute sei zwar formal möglich. Aber wie solle eine Demokratie bei wachsenden extremistischen und terroristischen Bedrohungen sonst an Informationen kommen?, fragte Lange. „Ich persönlich komme zum Ergebnis: Ein demokratischer Staat muss dieses Instrument einsetzen.“
Lange verwies auf Frankreich, das von islamistischen Attentaten erschüttert worden sei. „Das bringt eine Gesellschaft an den Rand der Existenzfähigkeit. In Deutschland haben wir bisher Glück gehabt, es gab noch keinen Anschlag mit Hunderten Toten“, sagte er. Auch vor diesem Hintergrund zeigte sich Lange sicher, dass selbst bei einer Abschaffung des Verfassungsschutzes dessen Befugnisse sofort auf die Polizei übertragen würden. „Das wäre die schlimmste Variante.“ Deutschland habe als Lehre aus der Geschichte bewusst auf eine allmächtige Geheimpolizei verzichtet. „Es gibt keinen Feldversuch eines Verfassungsschutzes ohne V-Leute. Das ist Ihre Entscheidung“, sagte auch Wolff. Wenn es eine Katastrophe gebe, gerate die Politik in Erklärungsnot. Man müsse es ernst nehmen, wenn alle Behörden den Einsatz für nötig halten.
Einig zeigten sich beide Wissenschaftler darin, dass der Einsatz vom Staat angeheuerter Spitzel problematisch sei. „Ein Neonazi, der dem Verfassungsschutz aus welchen Gründen auch immer Informationen liefert, bleibt ein Neonazi“, so ihr Ergebnis. Den Ausweg sehen beide Experten in klaren, präziseren Regelungen, wer als V-Mann angeworben werden darf, was diese dann dürfen und was nicht. „Es wäre gegenüber dem Verfassungsschutz fair, wenn die Politik klärt, wie zwielichtig sie sein dürfen“, sagte Wolff. „Tut die Politik das nicht, nimmt der Verfassungsschutz die, die er kriegen kann.“ Allerdings bezweifelte Wolff, dass Brandenburg – mit seinem kleinen Verfassungsschutz, im Bundesvergleich mit wenigen operativen Befugnissen – überhaupt viele V-Leute einsetzt. „Wenn es mehr als zwölf sind, würde mich das wundern“, sagte Wolff.
Ausgeschlossen in Brandenburg ist bisher etwa, dass Minderjährige oder Berufsgruppen mit Zeugnisverweigerungsrecht – etwa Ärzte, Anwälte oder Journalisten – angeworben werden dürfen. Noch problematischer wird es, wenn V-Leute selbst Straftaten begehen oder daran beteiligt sind, etwa um nicht aufzufliegen. Auch da, so die Experten, müssten klare Schranken gesetzt werden. Allerdings sprach sich Wolff dagegen aus, gesetzlich und damit öffentlich einen Katalog von Straftaten zu definieren, die V-Leuten erlaubt oder auch nicht erlaubt seien. Dies würde sofort dazu genutzt werden, V-Leute durch entsprechende Tests zu enttarnen.
Als ein Lehrbeispiel, wie „zweischneidig das V-Mann-Wesen ist“, bezeichnete Wolff den Fall des früheren Brandenburger V-Mannes „Piatto“. Der Neonazi war wegen einer Gewaltstraftat, einem versuchten Mord an einem Nigerianer, zu acht Jahren Haft verurteilt worden, hatte sich 1994 in der Untersuchungshaft dem Verfassungsschutz angedient und dann im Gefängnis und danach weiter die rechtsextreme Szene ausgespäht – für ein Salär von über die Jahre insgesamt 50 000 Euro. Einen der wenigen Hinweise auf ein untergetauchtes Neonazi-Trio hatte der Landesverfassungsschutz an die Strafverfolgungsbehörden in Thüringen – begründet mit Quellenschutz – nur mit Beschränkung weitergegeben. Seine Rolle steht im besonderen Fokus des Untersuchungsausschusses. Hätte der Verfassungsschutz damals, Ende der 90er-Jahre, nähere Angaben zugelassen, hätte der NSU möglicherweise gestoppt werden können, bevor die Neonazis ihre Mordserie starteten.
Nachdem „Piatto“ im Jahr 2000, im Zuge der Planungen für einen bewaffneten Anschlag, aufgeflogen war, verschärfte übrigens auch Brandenburg seine Regeln für die Anwerbung von V-Leuten. Besonders der SPD war es nun wichtig, dies hervorzuheben: dass wegen der Erfahrungen mit „Piatto“ bereits 2004, „also lange vor der Enttarnung der NSU-Gruppe“, striktere Vorgaben erlassen wurden. Heute jedenfalls würde einer wie Carsten Szczepanski mit seinen Vorstrafen nicht angeworben werden.
Bei einer Frage des Linke-Obmanns Schöneburg mussten beide Wissenschaftler allerdings passen. Müssen die V-Leute das Salär versteuern, „oder ist es Schwarzgeld“, hatte Schöneburg gefragt. Erst eine Vertreterin des Landesverfassungsschutzes im Saal lüftete das Geheimnis. Die V-Leute brauchen ihre Honorare nicht zu versteuern. Das übernimmt nämlich der Verfassungsschutz. Es gebe dafür im Etat des Verfassungsschutzes, der in der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) behandelt werde, einen gesonderten Posten für den V-Mann–Einsatz: Zehn Prozent werden als Einkommenssteuer abgeführt. Die Summe blieb allerdings, was im Ausschuss niemanden wunderte, geheim. (mit axf)
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