Airbus-Taufe: Wir fliegen nicht rückwärts
100 Kinder aus Berliner Kiezen erleben einen Rundflug mit dem frisch getauften Airbus A380.
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Berlin - „Fliegen wir rückwärts“, fragt Max, als der riesengroße Airbus sich zum ersten Mal bewegt. Ein Schlepper schiebt den kurz zuvor auf den Namen Berlin getauften Flieger aus seiner 80 mal 80 Meter großen Parklücke am Berliner Flughafen Tegel auf die Rollbahn zurück. Als das Flugzeug am Morgen gelandet war, wehten zwei große Berliner Bärenfahnen aus dem Cockpit. Es sollte endlich mal ein schöner Tag für Kinder, Politiker, Flughafen- und Lufthansa-Chef in Berlin werden - nach all den Katastrophen mit Flughafen, Hertha BSC und so weiter.
Auf der Rollbahn geht es nach dem Zurückstoßen vorwärts weiter, und Max ist beruhigt. Max ist eines von 100 Kindern aus Berliner Kiezen, die am Dienstag nach der Airbus-Taufe mit dem A380 über die Stadt fliegen dürfen.
Die meisten von ihnen sind noch nie geflogen, und einigen wird dieses Erlebnis vielleicht nie wieder vergönnt sein. „Im Einzugsgebiet der Weddinger Kinderfarm“, einem dieser Kieze, „sind 72 Prozent aller Eltern von der Zuzahlung bei den Lernmitteln befreit“, berichtet Projektleiter Siegfried Kühbauer. Das heißt, sie
leben unterhalb der Armutsgrenze.
Während der Riesenflieger zur Startbahn rollt, erzählt Kühbauer, wie die Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen, indem sie mit Tieren umgehen. „Emotionale Intelligenz“ werde da gefördert, sagt Kühbauer. „Dann werden sie stabiler, engagierter.“ Die 16-jährige Selina zeigt ihren Freundinnen in Reihe 85 des Airbus die jüngsten Bilder des Ponys, das sie pflegen darf.
Kühbauer wird unterbrochen von der Bordansage: „Vor uns sehe ich zwei Feuerwehrautos, und es scheint, als ob wir gleich eine Dusche abkriegen.“ Im Airbus kann man dank mehrerer Kameras auch nach vorne gucken, und so fummelt jeder an den Monitoren vor sich herum. Vielen gelingt es, die Bilder so einzustellen, dass die Wasserstrahlen auch auf den Mittelsitzen zu sehen sind, aber die meisten können die Dusche durchs Fenster erleben.
Nach einer Weile Wartezeit am Ende der Startbahn geht es endlich los. LH 9880 von Berlin-Tegel nach Berlin-Tegel hebt ab. „Oh mein Gott!“ - „Wir fliegen!“ Alle kreischen, die meisten fröhlich. „Wie in der Achterbahn“. Nur Josie geht es nicht so gut. Sie will nur noch zu ihrer Mama, während der Pilot erzählt, dass das Startgewicht der „Berlin“ 376 Tonnen beträgt. Es herrsche eine gute Thermik, „herrlichstes Segelflugwetter“.
Die Kinder merken es, und die meisten kommentieren jede fahrstuhlartige Auf-und-Ab-Bewegung in bis zu 4.000 Meter Flughöhe mit Jauchzen und Kreischen. „Jetzt verstehe ich auch den Song 'Über den Wolken'“, sagt Ashley. Reinhard Mey wird es freuen. Für wenige andere organisiert Kühbauer Spucktüten und Tempotaschentücher.
Und kurz bevor der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit zusammen mit Lufthansa-Vorstandschef Christoph Franz und zahlreichen Kameras durch die Reihen geht und freundliche Worte für die Kinder übrig hat, redet Projektleiter Kühbauer über die Förderung emotionaler Intelligenz und die letzten Haushaltsberatungen im Bezirk Mitte, zu dem Wedding gehört. Da werden die Mittel für die Jugendarbeit immer wieder gekürzt, obwohl im Gesetz steht, dass zehn Prozent der Gesamtjugendhilfe für die Jugendarbeit zur Verfügung gestellt werden muss. Derzeit liegen die Quoten bei fünf bis sieben Prozent.
Es geht über die Flughafenbaustelle in Schönefeld, über die Alte Försterei - Jubel bei der B-Jugend der Mädchenmannschaft des 1. FC Union Berlin, dessen Stadion so heißt - und über den Alexanderplatz. Schokoriegel werden verteilt. Einen Teddybären und ein Lufthansa-Schlüsselband haben sie vorher schon alle bekommen. Dann fliegt der Airbus über Spandau, und in Nullkommanix ist der einstündige Flug vorbei.
„Wir hoffen, Sie hatten einen guten Flug, auch wenn das Geschuckel dem einen oder der anderen ein wenig zugesetzt hat“, tönt es durch den Bordlautsprecher. Als der Flieger um 15.30 Uhr wieder in Tegel aufsetzt, klatschen die Kinder und auch ein paar Erwachsene. Sie hatten wirklich einen schönen Tag. Oder, denkt man an Josie, wenigstens einen unvergesslichen. Ob Selina, die 16-Jährige von der Kinderfarm, Stewardess werden will? „Nein, das nicht.“ Was denn? „Was mit Pferden.“
Thomas Rietig
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