Berlin Rot-Schwarz: „Wir haben den Mut, in großen Linien zu denken“
Unionsvorsitzender Frank Henkel über den Pragmatismus von Rot-Schwarz und warum der Koalitionsvertrag die Handschrift der Union trägt.
Stand:
Herr Henkel, was ist die Philosophie dieser Koalition? Sexy bleiben, reicher werden – das wirkt wie eine Karikatur?
Wieso?
Sie haben diese Formulierung im Wahlkampf oft kritisiert.
Ich hätte die ursprüngliche Formulierung „arm, aber sexy“ kritisiert. Das hätte ich angesichts der wirtschaftlichen Situation vieler Menschen in dieser Stadt so auch nicht gesagt. Aber in der neuen Formulierung spiegelt sich der Leitgedanke dieser Koalition wieder: Wir wollen, dass alle Menschen am Leben dieser Stadt teilhaben können. Wir wollen eine starke Wirtschaft, gute Arbeit, und wir wollen für sozialen Zusammenhalt sorgen.
Rot-Rot trat an mit der Devise „Mentalitätswechsel“ an und wollte Ost und West miteinander versöhnen. Was ist jetzt das Motto – West-Berlin voran?
Nein. Diese Koalition lässt sich nicht geografisch aufteilen. Wir wollen die Stadt in den nächsten fünf Jahren voranbringen.
Im Koalitionsvertrag ist keine Rede von „Klimahauptstadt“ oder „Stadt der Green Economy“ oder „Gesundheitsstadt“ Berlin. Fehlt es Rot-Schwarz an Anspruch?
Überhaupt nicht. Ich finde ganz im Gegenteil, dass diese Koalition den Mut hat, in großen Linien zu denken. Wir wollen den wirtschaftlichen Aufbruch, ohne den Charakter unserer Stadt zu verfälschen. Berlin hat eine große Zukunft vor sich, daran wollen wir bauen. Diese Koalition steht für pragmatische Lösungen. Das mögen manche für langweilig halten. Aber wir sehen jetzt aktuell bei den Grünen, dass das keine Selbstverständlichkeiten sind. Koalition ohne Anspruch – so hat es, glaube ich, Frau Pop formuliert. Das amüsiert mich jetzt. Die Grünen sind meilenweit von der Regierungsfähigkeit entfernt. Sie sind derzeit nicht mal in der Lage, Opposition zu betreiben.
Wichtige Forderungen der CDU sind erfüllt. Auf welchen Punkt sind Sie stolz?
Wir haben die wesentlichen Punkte unseres Wahlprogramms durchgesetzt: ein Programm für Industrie, Mittelstand und Zukunftstechnologien. Der überteuerte und uneffektive öffentliche Beschäftigungssektor kommt weg. Die großen Infrastrukturmaßnahmen, die A 100, die Entwicklung von Tegel und Tempelhof werden vorangetrieben. Und mit dem angestrebten Stiftungsmodell für die Charité und das Max-Delbrück-Centrum stärken wir die Gesundheitswirtschaft. Wir wollen den angespannten Wohnungsmarkt entkrampfen, indem wir 30 000 neue Wohnungen bauen, mit privaten Unternehmen. Stolz bin ich darauf, dass es uns gelungen ist, das Straßenausbaubeitragsgesetz wegzubekommen. 250 zusätzliche Polizisten im Vollzugsdienst. Was wir als Union im Wahlkampf versprochen haben, haben wir gehalten.
Was hat Ihnen die stärksten Bauchschmerzen gemacht?
Dass wir der laufenden Bundesratsinitiative der Sozialdemokraten zur Abschaffung der Optionspflicht …
... für die deutsche oder die türkische Staatsbürgerschaft …
... zustimmen. Wir haben uns darauf verständigt, dass laufende Bundesratsinitiativen fortgeführt werden.
Die CDU soll vier Ressorts besetzen. Wird das eine reine Männerriege werden?
Ich kann mir das schwer vorstellen.
Die CDU soll das Amt des Innensenators besetzen. Die Koalitionsvereinbarung liest sich wie eine Fortsetzung von Ehrhart Körtings Politik. Was soll anders werden?
Die Polizeipräsenz soll besser werden. Polizisten sollen auf Straßen und Plätzen in Kontaktbereichen als Fußstreifen unterwegs sein. Sie sollen als Ansprechpartner deutlich präsenter werden. In Problemkiezen soll verstärkt mobile Polizeiberatung angeboten werden. Um das Sicherheitsgefühl der Menschen zu erhöhen, muss Polizei sichtbar und erfahrbar sein.
Um den Polizeipräsidenten gab es Ärger mit der SPD. Wie gehen Sie damit jetzt um?
Gelassen. Wir haben ein Gerichtsverfahren, von dem ich nicht weiß, wie es ausgeht. Ich habe deutlich gemacht, dass ich das Auswahlverfahren für die Besetzung des Polizeipräsidenten für falsch halte. Der Streit sollte aber nicht auf dem Rücken des Bewerbers ausgetragen werden. Wenn am Ende des Verfahrens Udo Hansen Polizeipräsident wird, dann muss er eine faire Chance bekommen. Ich jedenfalls will sie ihm einräumen.
Unterstützt die Koalition ein NPD-Verbot?
Eindeutig ja. Wir machen uns für ein solches Verfahren stark. Auf ein solches Vorhaben hatten wir uns übrigens schon verständigt, bevor die Morde der Rechtsextremen bekannt wurden. Wir haben aber auch deutlich gemacht, dass wir entschieden links- und rechtsextremistischen Tendenzen entgegentreten werden.
Berlin braucht Arbeitsplätze – woher sollen die kommen?
Wir setzen auf eine moderne Wirtschaft, saubere Technologien, umweltfreundliche Mobilität. Wir haben viel Potenzial im Kommunikations- und IT-Bereich und die Chance, Berlin zu einem europäischen Silicon Valley zu machen. Wichtig ist, wie wir nach der Schließung den Flughafen Tegel entwickeln und dort die Hochschulen integrieren, etwa Teile der Beuth-Hochschule und der Technischen Universität. Aber es gibt auch kleinere Impulse, die wichtig sind: etwa den Handwerker-Parkausweis. Und es wird darauf ankommen, dass wir die Verwaltung unternehmensfreundlicher gestalten.
Hat sich Rot-Rot zu wenig bemüht, Unternehmen nach Berlin zu holen?
Ich bin der Auffassung, dass man sich mehr anstrengen kann – und angesichts unser Arbeitslosenquote mehr anstrengen muss. Die Rahmenbedingungen für mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung müssen stimmen. Das wird eine wichtige Aufgabe sein.
Aber Forschung und Wissenschaft getrennt – das ist doch Unsinn?
Das sehe ich nicht so, sondern finde Wirtschaft, Technologie und Forschung eine gute Kombination. Wir wollten ein solches Zukunftsressort, weil wir die Stadt voranbringen wollen auch durch ressortübergreifende Verknüpfungen. Wir haben im Bereich Forschung die Hochschulen und Adlershof. Das ist ein gutes Beispiel, wie man Standorte entwickeln kann, in der Zusammenarbeit mit Unternehmen, Forschung und Universitäten.
Die CDU hat immer die Schulprobleme kritisiert. Aber Investitionen etwa mit Sozialarbeitern gibt es nicht.
Die Koalition verstärkt die Anstrengungen, Unterrichtsausfall zu verhindern, den Lehrermangel zu stoppen und die Eigenständigkeit der Schulen auszubauen. Wir bekennen uns zur zweigliedrigen Schulstruktur: Es werden die Sekundarschulen gestärkt, aber auch die Gymnasien. Bildung bleibt von der Kita bis zur Hochschule gebührenfrei. Unser oberstes Ziel ist ein Schulfrieden. Darauf haben wir uns verständigt. Deswegen kann ich für die CDU sagen: Versprochen – gehalten.
Haben sie einen Krisenmechanismus vereinbart, falls es im Senat rumpelt?
Damit es überhaupt kein Krisenmechanismus ist, haben wir in der Tat eine regelmäßige Konsultation vereinbart. Wir nehmen uns vor, sich jenseits des Tagesgeschäfts auszutauschen über Dinge, die beide Partner planen. Wenn wir gesagt hätten, ein Koalitionsausschuss tritt zusammen, wenn einer der Partner es will, dann kann ich mir vorstellen, wie die Medien darauf reagiert hätten.
Das Gespräch führten Werner van Bebber und Gerd Nowakowski.
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