
© Felix Hörhager/dpa
Brandenburg: „Wir nehmen das Aschgrau!“
17 Statements eines Lustschmerz-Experten zur Premiere von „Fifty Shades of Grey“ im Zoo-Palast
Stand:
1) Am 20. Januar gestand ich meinem Ressortleiter, dass die einzige Belletristik, zu der ich mich seit Jahren durchringen konnte, „Moby Dick“ ist, 1056 Seiten, mit denen ich noch nicht fertig bin. Jetzt kommt die Quittung:
2) Am Mittwochabend ist „Fifty Shades of Grey“-Premiere im Zoo-Palast. Ich muss was zu dem Buch schreiben, das dem Film zugrunde liegt, was auch Literatur ist, aber 1200 Seiten hat, als „Arztroman ohne Doktor“ gelobt wird und insofern an „Backen ohne Mehl“ erinnert.
3) Meine Promotion in katholischer Theologie könnte die Sache erleichtern.
4) Vermutlich qualifiziert mich, dass ich schon mal Klebeband im Baumarkt gekauft habe. Allerdings suche ich dort immer lange nach dem richtigen Regal (siehe: Lustschmerz-Erfahrung).
5) Bei so einem Stoff geht’s ja unpersönlich gar nicht, das denkt man so in Literatur und Theologie; und irgendwie ist ja auch „Moby Dick“, die Story vom unfassbaren weißen Wal, verkappte Theologie.
6) Die Redaktion möchte lieber, dass ich Zusammenhänge zwischen Clubszene und „Mommy Porn“ erkläre. Jedenfalls verbindet beide, dass das Leben schön ist, wo Schmerz nachlässt, gell?
7) Berliner Baumärkte haben sich derweil mit Kabelbinder und Klebeband fürs Merchandising zum Film vorbereitet.
8) Eine Kritikerin erinnert die Ästhetik des Filmes an Badeöl-Werbung, auch da sind die Zubehör-Shops gewappnet.
9) Um das Zielgruppen-Spektrum auf den Intellektuellen auszuweiten, soll hier die unscharfe Trennungslinie zwischen un/freiwilliger Komik betont werden.
10) Grey ist nicht nur ein Name, sondern eine Metapher. Uns erinnert dieses graue Wort an ein altes anthrazitfarbenes Paar, Loriot und Gattin, das zur Belebung seiner verkorksten, aber haltbaren Beziehung einen neuen Couch-Bezug sucht.
11) Die Sketch-Entscheidung „Wir nehmen das Aschgrau!“ zeigt, dass es nicht nur in Lustschmerz-Beziehungen darauf ankommt, Schönheit der Gewohnheit mit Spaß an der Variante zu koppeln.
12) Wir dürfen uns das Filmpaar Ana und Christian, inszeniert von Loriot, als uraltes Berliner Pärchen auf aschgrauem Pantoffelkinosofa vorstellen. Für Tickets zur Zoo-Palast-Gala hat es bei dieser Zielgruppe leider nicht mehr gereicht.
13) Wenn man etwas nicht ganz schafft, hat das nur manchmal mit Lustschmerz zu tun. Nicht mal Kollege Martenstein behauptet, Fifty Shades of Grey von A bis Z durchdrungen zu haben. Auch Woody Allen hat, wie er in „Zelig“ gesteht, „Moby Dick“ nicht fertiggelesen: Was Klein-Zelig erst traumatisiert, ihn aber kurz vor dem Tod transzendental entspannt.
14) Christian, der fünfzigfach changierende Held unserer Film-Premiere, hat nur deshalb seinen Klebeband-Schatten weg, weil ihn „kalte Gefühle, Verwahrlosung und Gewalt in seiner Kindheit zutiefst traumatisiert haben" (Wikipedia).
15) Ist es nicht der Schatten in uns allen?
16) Die historische Bondage-Sitzung dieses Tages findet allerdings nicht an der Spree, sondern in Minsk statt.
17) Den „Moby Dick“-Schutzumschlag nehmen wir jetzt runter, kuckt eh keiner.
Eine Rezension des Films und mehr zur Berlinale auf unseren Sonderseiten 25 – 28
nbsp;Thomas Lackmann
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