Brandenburg: „Wir sind nicht alle Friseure mit Knickhändchen“ Lars Bergmann über die Landflucht Homosexueller und die Ziele der 15. LesBiSchwulen Tour
Herr Bergmann, heute beginnt um 14 Uhr auf dem Potsdamer Luisenplatz die 15. LesBiSchwuleTour, die diesmal durch die Landkreise Oder-Spree und Dahme-Spreewald führt.
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Herr Bergmann, heute beginnt um 14 Uhr auf dem Potsdamer Luisenplatz die 15. LesBiSchwuleTour, die diesmal durch die Landkreise Oder-Spree und Dahme-Spreewald führt. Was ist Ihr Anliegen?
Wir brauchen eine Grundstruktur von kompetenten Beratungsstellen vor Ort. Oft können wir kommunale Einrichtungen nutzen, aber die Mitarbeiter müssen sich qualifizieren. Wer nicht kompetent ist, fühlt sich unsicher. Mit dieser Tour arbeiten wir letztlich gegen die Landflucht unserer Klientel.
Wir groß ist überhaupt die Gruppe derer, die Sie dazuzählen – also im weitesten Sinne alle, die nicht heterosexuell sind?
Mit Zahlen ist das schwierig. Laut der Kinsey-Studie aus den 50ern sind zehn Prozent der Bevölkerung homosexuell veranlagt. Eine neuere europäische Studie sagt, 60 Prozent aller sexuell anders Veranlagten haben sich nicht nach außen geoutet. Das nehmen wir auch in Brandenburg wahr: Der Anteil derer, die sich nicht outen, ist relativ hoch.
Warum? Man könnte doch meinen, Brandenburg mit Potsdam, das ist ein tolerantes Land, da können an jeder Ecke zwei Männer oder Frauen ungestört knutschen.
Machen Sie das mal in einer Kleinstadt in der Pampa und schauen Sie auf die Reaktion der Leute.
Die wäre?
Da fallen Sprüche wie „Ich hab ja kein Problem mit denen, aber...“. Bei der Tour 2009 hat die NPD in der Prignitz eine Gegendemo organisiert. Es gibt auch immer wieder Städte, die uns nicht haben wollen, übrigens über Parteigrenzen hinweg, oder die Regenbogenfahne nicht hissen wollen und das mit der Flaggenverordnung Brandenburg begründen.
Der Unterschied zwischen Stadt und Land ist noch groß?
Ja, in Berlin ist man eher bereit, die Vielfalt des Lebens zu akzeptieren als beispielsweise in Perleberg. Das sagen einem die Leute eben auch offen ins Gesicht, auch wenn es nicht bösartig gemeint ist – aber es verdeutlicht die Stigmatisierung. Das wollen wir ansprechen, wenn wir uns auf Marktplätze stellen und zeigen: Wir sind nicht alle Friseure mit Knickhändchen.
Es gibt noch einiges zu tun?
Es ist besser geworden, wir müssen uns nicht mehr verstecken. Im Vergleich zu 1998 hat sich gesellschaftlich und politisch viel getan. Trotzdem erfährt jeder Dritte bis Vierte von uns Diskriminierung, bei der Arbeits- oder Wohnungssuche, beim Jugendamt. Auch in Potsdam. Heute können wir immerhin mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz argumentieren.
Was sind die schwierigen Fälle, die zu Ihnen in die Beratungsstelle kommen?
Jemand mit Selbstmordgedanken. Das kommt glücklicherweise nicht mehr so häufig vor, aber das gibt es. Oder verheiratete Männer, die ein Doppelleben führen, ihrer Familie was vorlügen, da gibt es ganz krasse Fälle. Je weiter man ins Ländliche kommt, desto enger wird die soziale Kontrolle, das ist einer der Gründe, weshalb viele nach Berlin oder Potsdam ziehen. Die Anonymität bietet Schutz.
Nun kann aber nicht jeder, der sexuell anders ist, in die Großstadt ziehen.
Genau, man hat womöglich Familie, Kinder, einen gemeinsamen Freundeskreis. Aber irgendwann bricht sich der schwule Anteil im Körper seine Bahn und man erfindet 14-tägige Dienstreisen. Das ist eine enorme psychische Belastung.
Was wünschen Sie sich für Potsdam?
Vor zwei Jahren mussten wir unser Begegnungszentrum in der Gutenbergstraße verlassen und haben jetzt 40 Quadratmeter. Das ist sehr beengt für eine ordentliche Beratung, uns fehlt ein Seminarraum, ein kleines Café. Aber wir gehen auch raus, machen Beratung in Schulen und Jugendklubs.
„Schwul“ ist bei Grundschülern derzeit das Ersatzwort für „cool“ und „krass“.
Schon lange. Aber die meisten sind aufgeschlossen uns gegenüber. Die Beratung findet als Peer-to-peer-Projekt statt, also Jugendliche vom Verein klären die Schüler auf. Das funktioniert am besten.
Die Fragen stellte Steffi Pyanoe
www.andersartig.info
Lars Bergmann, 30, ist Leiter der Koordinierungsstelle für Lesbischwule & Trans* Belange des Landes Brandenburg in Potsdam und Organisator der 15. LesBiSchwulen Tour
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