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Brandenburg: „Wir werden vertrieben“
Die Menschen im Oderbruch fühlen sich vom Land beim Schutz gegen neues Hochwasser im Stich gelassen. Nun wollen sie abwandern – noch symbolisch
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Golzow - Die Keller sind schon lange voll, die Senken auf den Äckern sowieso. Nun haben viele Hausbesitzer und Landwirte im Oderbruch auch den Hals voll: Auch zwei Jahre nach dem großen Binnenhochwasser sind viele Felder nicht befahrbar, laufen immer wieder Keller voll. Rund 10 000 Hektar Fläche waren im August 2010 nach tagelangen Regenfällen überflutet. Bis zu 40 Zentimeter hoch stand das Wasser. Trotz vollmundiger Versprechen der Landesregierung sei seitdem an den entscheidenden Stellen nichts passiert. „Zwar lässt das Land gerade für rund fünf Millionen Euro die sogenannten Hauptvorfluter an den größeren Fließgewässern sanieren, die Entwässerung auf den Feldern bleibt aber weiterhin ungeklärt“, kritisiert auch Gernot Schmidt, SPD-Landrat im Kreis Märkisch-Oderland. Eigeninitiative indes scheint in Potsdam nicht sonderlich gefragt zu sein: 13 Förderanträge betroffener Gemeinden für den Aufbau entsprechender Regulierungssysteme wurden Anfang des Jahres abgelehnt. Und das, obwohl Fachleute der zuständigen Ministerien angeblich beratend zur Seite standen.
Landrat Schmidt jedenfalls versteht die Landesregierung nicht. Es ist bereits das zweite Nein aus Potsdam. Nachdem die Anträge im Mai des vergangenen Jahres ein erstes Mal abgelehnt worden waren, wurden sie nach Hinweisen aus dem Landesumweltministerium überarbeitet – offensichtlich erfolglos. „Das Land sagt, die geplanten Maßnahmen würden ausschließlich der Entwässerung dienen. Das stimmt aber nicht“, sagt Schmidt. Ziel sei es, das Gesamtsystem der Wasserregulierung im Oderbruch zu unterstützen. Gegen die Ablehnung der Anträge haben die betroffenen Kommunen mittlerweile Widerspruch eingelegt. Erst vor wenigen Tagen hat Schmidt die Bürgermeister und Amtsdirektoren in die Kreisverwaltung nach Seelow eingeladen, um das weitere Vorgehen zu besprechen und der Landesregierung nochmals die Position der Gemeinden deutlich zu machen. Auch Vertreter des Umweltministeriums und des Landwirtschaftsministeriums waren anwesend. Von Rot-Rot fordert Schmidt eine unbürokratische Lösung und keine „juristischen Spitzfindigkeiten“. „So ein Verfahren wird sich über eine lange Zeit ziehen. Aber Hilfe ist jetzt nötig.“
Insgesamt geht es nach Angaben der Kommunen um fünf Millionen Euro. Das Nein zu den Anträgen begründete Umweltschutzministerin Anita Tack (Linke) in der jüngsten Sitzung des Umweltausschusses des Landtags erneut mit Formfehlern. Die beantragten Maßnahmen seien nicht durch die sogenannte Richtlinie zur Verbesserung des Landschaftswasserhaushaltes förderfähig, da die Entwässerung zentraler Bestandteil der Projekte sei. Das Ministerium sei jedoch bemüht, eine Lösung zu finden.
In Golzow zumindest gebe kaum noch jemand einen Pfifferling auf die Landesregierung, glaubt Klaus-Dieter Lehmann. „Das Vertrauen ist hin. Die Leute fühlen sich verschaukelt“, sagt der FDP-Bürgermeister. Seit mehr als 20 Jahren steht Lehmann an der Spitze des rund 1000 Einwohner zählenden Oderbruch-Orts, der durch die Langzeit-Dokumentation „Die Kinder von Golzow“ bekannt geworden ist. Auch im vergangenen Frühjahr hatte der Ort schwer unter Hochwasser zu leiden. „Als wir den Antrag gestellt haben, hatten wir keine Zweifel, dass er genehmigt wird“, sagt Lehmann. „Mitarbeiter der Ministerien haben uns sogar darin bestärkt und uns Tipps gegeben“, sagt der ehrenamtliche Rathauschef. Auch Lehmann versichert, es gehe nicht in erster Linie um Entwässerung. „Wir haben im Oderbruch auch immer wieder Trockenzeiten. Dann geht es darum, Wasser auf die Felder zu leiten.“
Lehmann und die Bürgermeister anderer betroffener Gemeinden wie Letschin, Alt Tucheband, Lindendorf oder Küstriner Vorland wollen nun den Druck auf das Land erhöhen. „Wir werden die B1 dicht machen“, kündigt der 62-jährige Bürgermeister von Golzow an. Geplant sei ein „symbolischer Auszug aus dem Oderbruch“. „Schließlich werden wir von hier vertrieben“, meint Lehmann. Über das genaue Datum der Aktion würden sich die Kommunen demnächst verständigen.
Auch beim brandenburgischen Landesbauernverband (Lbv) glaubt man an eine systematische Vertreibung und wärmt gleich noch eine alte, immer wiederkehrende These auf. „Die Bevölkerung im Oderbruch hat den Eindruck, unter dem Deckmantel der schlechten Haushaltslage des Landes soll das Oderbruch nach und nach naturschützerisch absaufen“, sagt Lbv-Sprecher Holger Brantsch.
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