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POSITION: Wo die Ausgrenzung beginnt

Replik auf Uwe-Karsten Heyes „Heyes Woche“ vom 3. Dezember Von Saskia Ludwig

Stand:

Ganz nüchtern betrachtet sind Informationen der erste Schritt zu Veränderungen. Was es heißt, wenn alle Medien von einer alleinregierenden Staatspartei kontrolliert werden, mussten nicht nur die Brandenburger bis zum November 1989 leidvoll ertragen. Der für Agitation zuständige Sekretär des Zentralkomitees bestimmte, wie die tägliche Berichterstattung auszusehen hatte. Von Meinungsvielfalt, wie wir sie heute erleben dürfen, keine Spur! Wie sich sicherlich viele Brandenburger noch erinnern können, stand im Mittelpunkt das Abloben des Staatsratsvorsitzenden Honecker und seines Politbüros. Für Frieden und Sozialismus wurde jeder Plan (angeblich) übererfüllt.

Und heute, 22 Jahre später: In diesem Jahr wurden wir Zeuge, wie die Welle von Protesten in der arabischen Welt die dort herrschenden Diktaturen zum Einsturz gebracht haben. Dies geschah auch dank der unterschiedlichsten Internet-Videoportale, mit den Berichten von unabhängigen Journalisten und Oppositionellen, die einander beflügelt haben. Demonstrationen, wie sie damals in Leipzig Gott sei Dank unblutig stattfanden, wurden in Kairo auf dem Tahrir-Platz niedergeschlagen. Kein Tag, an dem nicht über die gewaltsame Unterdrückung der Demonstranten in den deutschen Nachrichtensendungen und Zeitungen berichtet wurde. Die autoritären Machthaber und Regierungen mussten zum ersten Mal erleben, was eine freie und unabhängige Berichterstattung bewirken kann. Nämlich ihren Machtverlust!

Der gleiche Machtverlust ereilte die Granden des Politbüros 1989, nachdem Siegbert Schefke heimliche Filmaufnahmen der Montagsdemonstration am 9. Oktober 1989 in Leipzig machte und den Medien im Westen zuspielte.

Der Vergleich zum „stillen Helden“ Schefke, der auch durch die Bambi-Verleihung in Potsdam einem Millionenpublikum bekannt wurde, liegt nahe. Mit seinem Ausspruch: „Ein IM gehört für mich in keine Regierung, in keinem deutschen Land. Das sage ich bewusst in Potsdam“ hat er die Herzen der Brandenburger gewonnen.

Seit 60 Jahren gilt der bewährte Artikel 19 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen: „Jeder Mensch hat das Recht auf freie Meinungsäußerung!“ Dieser Menschenrechtsartikel ist nicht nur bedrucktes Papier, sondern die Basis für alle demokratischen Gesellschaften.

Der langjährige SPD-Spitzenpolitiker und Vertraute Willy Brandts, Egon Bahr, hat genau von jener freien Meinungsäußerung Gebrauch gemacht. Vor ein paar Wochen bestätigte er in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“ die Existenz der „Kanzlerakte“, die lange nur als Verschwörungstheorie galt. Bis zu jenem Interview war mir die „Kanzlerakte“, also der geheime alliierte Machtvorbehalt, den die Bundeskanzler bei Amtsantritt zu unterzeichnen hatten, kein Begriff gewesen. Demzufolge hatte ich auch keinerlei Kenntnis davon genommen, dass wesentliche Grundrechte, die die Hoheit der Alliierten eingeschränkt hätten, auf diesem Weg außer Kraft gesetzt wurden. Jahre zuvor hatte sich das sozialdemokratische Urgestein schon einmal in dieser Zeitung zu Wort gemeldet und musste sich anschließend dafür rechtfertigen, sich mit seinem Interview vermeintlich nicht politisch korrekt verhalten zu haben. Egon Bahr sagte dazu: „Mir kommt es doch auf den Inhalt an! Ich sehe mit Entsetzen, dass man sich darauf beschränkt, zu diskutieren, ob ich der Zeitung ein Interview hätte geben sollen.“

Aus den Zeilen eines anderen Mitstreiters aus dem politischen Umfeld Willy Brandts konnten wir nun erfahren, dass er die Worte seines Kollegen Bahr offensichtlich vergessen hat. Anders ist es nicht zu erklären, dass die Erkenntnis ignoriert wird, dass an Orten, wo nicht unabhängig berichtet werden darf und wo Menschen ihre Meinung nicht frei äußern können, auch andere Menschenrechte verletzt werden. Ohne die freie Meinungsäußerung wäre z.B. heute in Brandenburg noch ein anderer Minister im Kabinett Platzeck für die Innere Sicherheit zuständig. Bis vor Kurzem schien es ausgemacht, dass jener Rainer Speer der nächste Regierungschef unseres Bundeslandes werden würde. Daher sind sein Rücktritt und die Freiheit, darüber zu informieren und informiert zu werden, auch zuverlässige Gradmesser für die Achtung der Pressefreiheit in Brandenburg gewesen. Für die Kontrolle dieser Freiheit bedarf es keiner Reisen nach Weißrussland, Kuba oder Syrien. So wie wir uns als Zivilgesellschaft tagtäglich für die Erhaltung unserer Demokratie einsetzen müssen, muss auch die freie Berichterstattung – unabhängig von wirtschaftlichen, politischen oder religiösen Interessen – tapfer verteidigt werden. Die nun aktuell versuchte Ausgrenzung einiger Medienvertreter durch Kollegen oder ehemalige Regierungssprecher sollte uns daher hellhörig machen!

Die Autorin ist CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzende und bezieht sich auf „Heyes Woche“ von Uwe-Karsten Heye – Regierungssprecher unter Kanzler Schröder und Redenschreiber von Willy Brandt – vom 3. Dezember unter der Überschrift „Wo Verharmlosung der Nazis beginnt“

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