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Von Alexander Fröhlich: Zivilfahnder wegen Totschlags angeklagt
Ein Jahr nach den Schüssen von Schönfließ schließt die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen ab
Stand:
Schönfliess/Neuruppin – Mehr als ein Jahr haben die Ermittlungen gedauert, seit Donnerstag liegt nun die rund hundert Seiten umfassende Anklageschrift beim Landgericht Neuruppin vor: Dort werden sich wohl drei Berliner Zivilfahnder für die tödlichen Schüsse auf den Intensivstraftäter Dennis J. in Schönfließ (Oberhavel) am Silvesterabend 2008 zu verantworten haben. Gegen Reinhard R. (35) hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin Anklage wegen Totschlags erhoben, gegen seine beiden Kollegen wegen versuchter Strafvereitelung im Amt. Bis der Prozess eröffnet wird, könnte es aber noch einmal mehrere Monate dauern.
„Dem Hauptbeschuldigten wird zur Last gelegt, den J. bei dem Festnahmeversuch erschossen zu haben“, sagte Staatsanwältin Lolita Lodenkämper. Die beiden anderen Beamten sollen mit unwahren Angaben versucht haben, eine Bestrafung ihres Kollegen zu verhindern. Die Anklagebehörde kann schlicht keinen „Rechtfertigungsgrund“ wie etwa Notwehr für die Tötung des mit Haftbefehl Gesuchten erkennen. Für ein privates Motiv – schon früh waren höchst vage Hinweise auf Eifersucht aufgetaucht – gebe es keine Anhaltspunkte. Vielmehr habe der „unbedingte Festnahmewille" bei Reinhard R. zur Tat geführt, hieß es. Denn der Polizist war Dennis J., auf dessen Konto 160 Straftaten vom Einbruch bis zur gefährlichen Körperverletzung gingen, schon lange auf der Spur. Zweimal war der 26-jährige Neuköllner den Fahndern entwischt. Schließlich bekam das Ermittler-Trio am Silvesterabend 2008 den Tipp, J. sei in Schönfließ.
„Unsere Ermittlungen haben den von uns für wahrscheinlich gehaltenen Tatablauf mit hinreichender Sicherheit erhärtet“, sagte Lodenkämper. Demnach stand J. mit einem gestohlenen Jaguar in einer Parkbucht und wartete auf seine Freundin, der Motor lief nicht. Die Fahnder fanden ihn, Reinhard R. ging auf den Wagen zu, nach einem heftigen Wortwechsel gab er den ersten tödlichen Schuss durch die Scheibe auf J. ab, sieben weitere Schüsse folgten. Der Gesuchte konnte noch den Wagen anlassen und losfahren, erlag dann aber einem Lungensteckschuss. Seine Kollegen musste R. aus Sicht der Staatsanwaltschaft jedenfalls nicht aus höchster Gefahr retten. Diese hatten nach dem Vorfall zunächst ausgesagt, nichts mitbekommen zu haben, obwohl sie „bei Schussabgabe nur wenige Meter vom Hauptangeschuldigten entfernt waren“.
Wegen dieses „Ausfalls“ der beiden Tatzeugen seien die Ermittlungen erschwert worden, hieß es. Die Staatsanwaltschaft wies damit Vorwürfe zurück, ihre Arbeit hätte zu lange gedauert. Vielmehr seien eine aufwendige Rekonstruktion der Tat und sechs Gutachten wie etwa zur Todesursache, zur Schussfolge, zur Fahrt des Wagens oder zum Lärm nötig gewesen. Zum Teil hätten die Gutachter die übliche Zeit für ihre Expertisen überschritten. Auch der CDU-Innenexperte Sven Petke nahm die Staatsanwaltschaft in Schutz. Die lange Ermittlungszeit liege an der fehlenden Kooperationsbereitschaft der nun angeklagten Fahnder. Er forderte von Berlins Innensenator Ehrhardt Körting (SPD) disziplinarrechtliche Maßnahmen. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass Kameraderie unter Polizeibeamten Vorrang vor Aufklärung hat“, sagte Petke.
Körting hält sich jedoch weiter bedeckt. Zu laufenden Verfahren äußere er sich nicht, sagte seine Sprecherin. Auch Polizeipräsident Dieter Glietsch wollte nichts zur Anklageerhebung erklären. Über dienstrechtliche Maßnahmen werde erst nach einer Verurteilung entschieden, „wenn dies dann überhaupt noch nötig ist“, sagte ein Sprecher.
Reinhard R. ist derzeit vom Dienst suspendiert, die Mitangeklagten dagegen nicht, sie verrichten ihren üblichen Dienst. Dabei bleibt es, bis der Prozess beendet ist. Von einem zwischenzeitlich aufgehobenen Haftbefehl gegen R. sieht die Staatsanwaltschaft weiterhin ab, „wegen familiärer und beruflicher Bindungen" bestehe keine Fluchtgefahr, hieß es.
Wann der Prozess eröffnet wird, ist noch unklar. Am Landgericht Neuruppin entscheidet die 1. Große Strafkammer in einem Zwischenverfahren darüber. Eine Sprecherin wies auf bestehende Fristen hin, die Verteidiger der Angeklagten müssten Stellungnahmen zur Anklage abgeben, dies könne auch „Anlass zu weiteren Ermittlungen geben“, sagte sie. „Es kann noch ein paar Wochen oder Monate dauern, bis der erste Termin für die Hauptverhandlung fest steht.“
Für Strafvereitelung im Amt sieht das Gesetz ein Strafmaß von sechs Monaten bis zu fünf Jahren vor. Für Totschlag gibt es Haftstrafen von mindestens fünf und höchstens 15 Jahren.
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