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Wegen versuchten Mordes stehen vier Rocker vor Gericht.

© Michael Helbig/dpa

Brandenburg: Zufälliges Opfer einer Rocker-Fehde

Ein 16-Jähriger geriet zufällig zwischen die Fronten des MC Gremium und der Hells Angels. Er wurde fast totgeprügelt. Jetzt stehen vier Rocker vor Gericht

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Cottbus- Es lässt sich nicht im Entferntesten erahnen, was Paul T. denkt und fühlt. Der 17-Jährige sitzt im Saal 209 des Cottbuser Landgerichts - vor ihm vier Männer, die gerade in Handschellen auf die Anklagebank geführt wurden, sich gegenseitig auf die breiten Schultern klopften und die Fäuste reckend in den Gerichtssaal grüßen. Dort, in Paul T.s linkem Blickfeld, sitzen gut zwei Dutzend Rocker: die Köpfe kahl geschoren, bis zur Kopfhaut tätowiert, muskulös und breitschultrig. Vor 14 Monaten stand der damals 16-Jährige der Meute schon einmal gegenüber, vor einer Diskothek in Königs Wusterhausen (Dahme-Spreewald). Die Rocker des MC Gremium hielten ihn für ein Mitglied der verfeindeten Hells Angels - und prügelten ihn fast tot. Dass der Schüler überhaupt nichts mit der Rockerszene zu tun hat – für diesen Gedanken fand sich in den kahlen Schädeln kein Platz.

Seit gestern wird vier Gremium-Mitgliedern vor der 1. Strafkammer des Cottbuser Landgerichts der Prozess gemacht. Versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, räuberische Erpressung, schwerer Hausfriedensbruch und Waffendelikte wirft ihnen die Anklage vor – die typische Straftaten-Palette der Szene. Die Ermittlungsakte fasst 25 Ordner und mehr als 8 000 Seiten. Gegen 19 weitere mögliche Tatbeteiligte aus der Nacht zum 31.Dezember 2011 wird in abgetrennten Verfahren ermittelt.

Die vier Männer auf der Anklagebank – aus Cottbus und Plauen – gelten als Hauptbeschuldigte der Gewaltorgie gegen Paul T. Sie rissen ihr Opfer zu Boden, traten ihm gegen den Kopf und in den Rumpf, schlugen mit einem Schlagring sechsmal und stachen mit einem Messer mehrmals zu. Offene Kopfwunden, eine sieben Zentimeter tiefe Stichwunde im Brustkorb, eine 13 Zentimeter tiefe Stichverletzung in der rechten Rumpfseite und eine verletzte Schlagader im Oberschenkel sind die Bilanz des brutalen Überfalls. Nur eine stundenlange Notoperation rettete dem Schüler – an seinem 16. Geburtstag – das Leben. Laut Staatsanwalt Peter Graupner standen mindestens vier bis fünf weitere Rocker im Halbkreis um das Geschehen. Sie hielten den Jugendlichen für ein Mitglied der verfeindeten Hells Angels, mit denen die Gremium-Rocker um die Vorherrschaft im Revier konkurrieren. Der Tat ging Tage zuvor ein Angriff der Hells Angels auf einen Gremium-Rocker voraus, der durch die Attacke schwer verletzt wurde.

Einen Eindruck, wie bedrohlich die Gremium-Rocker in der Tatnacht auf ihrem Rachefeldzug in die Diskothek „Six“ einmarschierten, bekamen die Prozessbesucher gestern nur ansatzweise: Ihre Gremium-Kutten sind im Gericht verboten und zu Hause geblieben; schwarze Kapuzenshirts, Stiernacken und Tattoos genügen jedoch als Kulisse, die unter verschärfter Kontrolle von Polizei- und Justizbeamten die Hälfte des Gerichtssaal einnahm. In der Tatnacht marschierten 40 Gremium-Rocker in einheitlicher Uniform in die Diskothek ein: „Gewaltbereit und übermächtig“, wie Staatsanwalt Graupner schilderte. „Sie wollten ihren angemaßten Gebietsanspruch und ihre Übermacht in Königs Wusterhausen zum Ausdruck bringen“, heißt es in der Anklageschrift. Getrieben waren die Rocker vom brutalen Vorsatz, ihre Gegner zu demütigen und zu töten. „Erst als die vier Angeklagten das ohnmächtige Opfer für tot hielten oder mindestens davon ausgingen, der Jugendliche werde kurzfristig an den Verletzungen sterben, haben sie von ihm abgelassen“, so der Staatsanwalt.

Die vier 23 bis 38 Jahre alten Beschuldigten zeigten sich von der Anklage unbeeindruckt. Seit sieben Monaten sitzen sie in Untersuchungshaft, einer von ihnen verbüßt inzwischen eine Haftstrafe. Die Verteidigung beantragte zu Prozessbeginn, das Verfahren auszusetzen, da bislang keine umfassende Akteneinsicht gewährt und Beweismaterial noch nicht vollständig gesichtet worden sei. Das Gericht wird zu Beginn des zweiten Verhandlungstages am kommenden Montag über die Anträge entscheiden.

Nach dem bisherigen Terminplan der Kammer wird ein Urteil Anfang Mai erwartet. Wie der Anwalt von Paul T. als Vertreter der Nebenklage am Rande des ersten Verhandlungstages sagte, werde er eine Haftstrafe im zweistelligen Bereich fordern. Peter Könnicke

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