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Brandenburg: Zuflucht im Chaos
Vor Berlins zentraler Anlaufstelle für Flüchtlinge warten Hunderte, oft tagelang – darunter viele Familien. Krisensitzung im Rathaus
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Berlin - Während er eine Pappkiste mit Bananen und Äpfeln hoch hält, versucht sich ein ehrenamtlicher Helfer vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) an der Turmstraße in Moabit seinen Weg durch die Menschentraube zu bahnen. Vergeblich. Der Andrang ist zu groß, von allen Seiten greifen Hände zu. Hunderte Flüchtlinge warten hier, dass sich ein Sachbearbeiter um sie kümmert. Doch trotz Sonderschichten kommen die Mitarbeiter nicht hinterher. 500 Menschen am Tag kommen hierher, heißt es bei dem Amt, teils noch mehr. In der Hitze harren sie auf dem Boden aus. Ganze Familien, viele mit Babys, über Nacht. Müll liegt über das Gelände verteilt, an manchen Ecken riecht es nach Urin.
Die Zustände haben jetzt auch die Politik aufgerüttelt. Wegen der verschärften Probleme rief der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) am Freitag Vertreter der fünf Abgeordnetenhausfraktionen zu einer Krisensitzung ein. Sozialstaatssekretär Dirk Gerstle informierte über die Zustände am Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso), wo einige hundert Flüchtlinge in praller Sonne auf einen Termin warten mussten. Man werde alles tun, um die Lage in den Griff zu bekommen, sagte Müller dieser Zeitung.
Staatssekretär Dirk Gerstle (CDU) teilte unter anderem mit, dass die Flüchtlinge auf dem Gelände der Zentralen Erstaufnahmestelle in Berlin-Moabit bereits am Donnerstag 2000 Liter, am Freitag 3500 Liter Wasser erhalten hätten. Noch am Abend sollten die rund 500 Menschen in Unterkünfte verteilt werden. Auch in der neuen Notunterkunft in der Köpenicker Allee in Karlshorst konnten bereits 150 von geplanten 300 Plätzen belegt werden. Hinzu kamen 100 Plätze in kleineren Einrichtungen für das Wochenende.
Am Freitagnachmittag ist bei einer Auseinandersetzung zwischen Flüchtlingen und Sicherheitspersonal auf dem Lageso-Gelände ein 34-jährige Flüchtling verletzt worden. Er kam in ein Krankenhaus, die Schwere seiner Verletzung war zunächst unbekannt. Bis zu 15 Asylbewerber hatten versucht, das Gebäude unerlaubt zu betreten, so die Polizei. Ebenfalls am Freitag helfen auch Mitarbeiter der Malteser und der Caritas vor Ort– nach einem Hilferuf der Sozialverwaltung. Mit mehreren Krankenschwestern und einem Arzt behandeln sie kranke Flüchtlinge notdürftig. Viele Schwangere müssten versorgt werden, oft hätten die Menschen wegen der Hitze Kreislaufprobleme, sagt eine Schwester. Zweimal musste schon der Rettungswagen anrücken. Mehr als 100 ehrenamtliche Helfer unterstützen sie. Ständig fahren Privatautos mit Wasserflaschen vor die Sammelstelle. Die Helfer laufen mit immer neuen Kisten voll Obst über das Gelände, die nach Sekunden leer sind. Die Flüchtlinge nehmen den Nachschub dankbar entgegen. Über soziale Netzwerke haben Bürgerinitiativen wie „Moabit hilft“ zu Spenden aufgerufen. Auch mehrere Supermärkte spendeten inzwischen mehrmals täglich Lebensmittel, berichtet Diana Henniges von der Initiative. Wie groß der Bedarf sei, habe sich am Donnerstag gezeigt, als sich Menschen um Essen geprügelt hätten. Und das Hauptproblem ist am Freitag noch nicht gelöst – nämlich die Bearbeitung aller Fälle in vertretbarer Zeit.
Erst warten die Flüchtlinge auf die Ausgabe einer Wartenummer. Und selbst mit der in der Hand wissen sie nicht, wann ihre Nummer an die weiße Tafel vor dem Eingang geklebt wird – schlimmstenfalls erst nach mehreren Tagen. Die 24-jährige Lehrerin Ranim und ihr Mann warten hier seit vier Tagen mit ihrem einjährigen Sohn. Die ersten beiden Nächte verbrachte die syrische Familie auf dem Boden schlafend vor dem Amt – um sich gleich morgens um fünf ihren Platz in der Schlange zu sichern. Viele schlafen aber auch hier, weil sie von Hostels abgewiesen wurden – trotz Gutschein des Lageso. Auf dem Gelände ist zu hören, dass die Hostelbetreiber an Touristen besser verdienen und außerdem schneller an ihr Geld kommen als bei dem Amt, das erst die Rechnungen prüfen muss. Ohne persönliche Kontakte oder andere Anlaufstellen in der Stadt bleibt vielen oft nichts anderes übrig, als draußen zu campieren. Der Verein „Asyl in der Kirche“ bezeichnete diese Zustände als erschütternd. Melanie Böff und Annette Kögel
Melanie Böff, Annette Kögel
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