Von Andreas Wilhelm: Zug in die Mitte
Die brandenburgischen Stadtzentren werden immer beliebter – die Chancen der historischen Anlagen sind jedoch laut Architektenkammer auch abhängig vom Engagement einzelner Personen
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Wittstock - Wenn Bärbel Kannenberg nicht gewesen wäre, würden diese Backsteine jetzt unter einer Autobahn liegen. "Geschreddert und verdichtet", sagt die Architektin und streicht über die hundert Jahre alte, frisch sanierte Mauer. „Weil mir das Herz geblutet hat“, wie sie sagt, stehen die Wände der ehemaligen Tuchfabrik in Wittstock noch. Die Stadt wollte große Teile abreißen. Und auch vielen Einwohnern waren die maroden Gebäude ein Dorn im Auge. Hinzu kam, dass die Denkmalpflege das Ensemble nicht als schützenswert einstufte.
Doch Bärbel Kannenberg ließ nicht locker. Auf eigene Kosten erstellte sie eine 3D-Animation jener architektonischen Zukunft Wittstocks, die in ihrer Vorstellung stattfand, und zeigte sie den Stadtvätern und Abgeordneten.
Jetzt arbeitet die Stadtverwaltung in den geschmackvoll restaurierten Werkstätten, wo früher Webstühle des Tuchmachers Wegener ratterten. In dem alten Maschinenhaus, das dem Schredder zum Opfer fallen sollte, wird voraussichtlich die Bibliothek untergebracht.
Kannenbergs Engagement ist nur ein kleiner Mosaikstein im Konglomerat historischer Stadtkerne der Mark. Wie die Architektenkammer Brandenburg während ihrer jüngsten Tagung jetzt noch einmal betont hat, ist aber insbesondere die Arbeit einzelner Personen gefragt, wenn es um den Erhalt dieser Schätze geht.
Und diese Schätze haben Potenzial. Nach Meinung der Architektenkammer werden die historischen Kerne in Brandenburgischen Städten immer beliebter. Gefühlt jedenfalls. Genaue Zahlen müssten erst erhoben werden, sagt Hathumar Drost, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft historischer Innenstädte in Brandenburg. Doch die Zeichen seien auch jetzt schon unverkennbar. „Wohnungen, im Stadtkern sind schneller belegt, als vor Jahren noch“, sagt Drost. Dabei spiele der Preis nicht zwingend eine Rolle sondern der Zustand. Saniert muss es sein.
Ein weiteres Indiz für Drost: In Brandenburgischen Stadtzentren ist Leben eingezogen. Märkte, Feste und andere Initiativen. In Luckau (Dahme-Spree) zum Beispiel, gute 80 Kilometer südlich von Berlin, gebe es regelmäßig die Einkaufsnacht, bei der alle Geschäfte im Stadtzentrum aufbleiben. „Und die läuft“, honoriert Drost. In Altlandsberg (Märkisch-Oderland), nennt er ein weiteres Beispiel, wurde vor drei Jahren das erste Vogelscheuchenfest veranstaltet, bei dem alle Höfe geöffnet sind. „Das ist mittlerweile ein richtiges Ereignis.“ Das funktioniere natürlich nur mit „Goodwill“, so der Altstadtexperte. Überall hätten sich in den letzten Jahren für derlei Zwecke Vereine gegründet.
1991 haben sich 21 märkischen Städte zu der AG, der Drost vorsteht, vereint. Zehn weitere sind dazu gekommen und 263 Millionen Euro sind seit der Wiedervereinigung aus dem Bundesprogramm Städtebaulicher Denkmalschutz in diese Stadtzentren geflossen. Auch dank dieser Tatsache erfreuen sich die Kerngebiete der Städte einer Art Renaissance. Die Zeiten in denen Plattenbauten saniert wurden, während die Denkmale innerhalb der Stadtmauern verfallen, seien vorbei, sagt Christa Menz, Vizepräsidentin der brandenburgischen Architektenkammer. „Große Einkaufszentren und Gewerbegebiete haben die Kaufkraft Anfang der Neunziger aus den Stadtzentren abgezogen“, sagt Menz. Die Dezentrale Konzentration habe zu innerörtliche Industriebrachen geführt. Auch sie bestätigte, dass „ein breites Engagement und eine klare politische Weichenstellung“ die historischen Stadtkerne jetzt wieder aufblühen lässt.
In Neuruppin wird Denkmalschutz belohnt. Monatlich wird ein Haus ausgezeichnet, dass besonders schön und geschmackvoll saniert wird, erklärt Baudezernent Michael Kron. Als Handreiche hat die Stadt eine Gestaltungsfibel herausgebracht, in Neuruppiner, die anstatt des Einfamilienhauses außerhalb, sich ihr Heim in einem Denkmal einrichten, nützliche Tipps bekommen.
Bärbel Kannenberg ist froh, dass ihre Arbeit Früchte trägt. In Wittstock sind an 80 Prozent der innerstädtischen Gebäude Sanierungen vorgenommen worden. Die Architektin hat schon vor der Wende um alte Gebäude gekämpft, ist sogar mit den Oberen der Stadt angeeckt, weil sie mit einer Bürgerinitiative einen Neubau im Wittstocker Stadtzentrum verhindert hat. Doch ihr Kampf wird kein Ende haben. Neben der alten Tuchmacherfabrik stehen noch einige Gebäude, die dringend saniert werden müssen. „Es ist doch unsere verdammte Pflicht, so etwas zu bewahren.“
Andreas Wilhelm
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