
© B. von Jutrczenka/dpa
Berlin: Zuwanderer und die Kriminalstatistik
Werden aus der Gruppe der Zuwanderer mehr Straftaten begangen als in der Allgemeinbevölkerung? Eine Berliner Statistik zu Verdächtigen zeigt erhöhte Zahlen. Die Realität spiegelt sie nur bedingt wider.
Stand:
Berlin - Flüchtlinge und Zuwanderer werden als Verdächtige in der neuen Kriminalstatistik der Berliner Polizei häufiger erfasst als Deutsche. Das gilt auch, wenn ausländerrechtliche Delikte wie illegale Einreise oder unerlaubter Aufenthalt herausgerechnet werden und zugleich berücksichtigt wird, dass unter den Zuwanderern besonders viele jüngere Männer sind. Denn diese Gruppe hat generell eine erhöhte Kriminalitätsrate – egal welcher Herkunft.
Die Zahlen aus der bislang nicht veröffentlichten Kriminalitätsstatistik 2016 gehen aus einer Antwort des Senats auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Marcel Luthe hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Die Aussagekraft von Kriminalitätsstatistiken der Polizei ist allerdings umstritten. So erfasst sie nur Verdächtige und keine verurteilten Täter. Auch die erhöhten Kriminalitätszahlen für „nichtdeutsche Tatverdächtige“ in diesen Statistiken sorgen immer wieder für Debatten. Manche Kriminalexperten und -wissenschaftler sehen dabei statistische Ungenauigkeiten und Verzerrungen.
Demnach registrierte die Polizei 2016 in ganz Berlin 135 886 Verdächtige. Darunter waren 54 150 Verdächtige mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit. Zu dieser Gruppe zählten auch 9614 Verdächtige, die als „Zuwanderer“ definiert wurden: Asylbewerber, Bürgerkriegsflüchtlinge oder Menschen im Duldungsstatus. Straftaten, die nur Ausländer begehen können, etwa Aufenthaltsverstöße, sind in den Zahlen nicht enthalten. Demgegenüber stehen insgesamt knapp 70 000 registrierte Zuwanderer. Rechnerisch wurden also rund 13 Prozent der Zuwanderer als Verdächtige erfasst.
Für in Berlin gemeldete deutsche Staatsangehörige liegt der Vergleichswert bei 2,9 Prozent. Nimmt man als Vergleichsgröße zur Gruppe der Zuwanderer nur die jungen Männer unter 21 innerhalb der deutschen Wohnbevölkerung in Berlin, kommt man auf 5,9 Prozent Verdächtige.
Die Prozentzahlen ergeben sich aus der von der Polizei erstellten „Tatverdächtigenbelastungszahl“ (TVBZ). Diese Zahl gibt die Verdächtigen pro 100 000 Menschen wieder. Für die Zuwanderer erstellte die Polizei 2016 keine TVBZ. Sie argumentiert, es gebe keine verlässliche Angabe zur Zahl der in Berlin gemeldeten Menschen aus diesem Spektrum. In der Antwort des Senats wird aber auf Grundlage der Statistik des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge die Zahl von knapp 70 000 Zuwanderern in Berlin genannt.
Der FDP-Innenpolitiker Luthe argumentierte jetzt, in der Debatte seien objektive Erkenntnisse und Zahlen nötig. Die Position des Bundesinnenministeriums, Zuwanderer seien nicht krimineller als Deutsche, erscheine verkürzt. Die These, es gebe in der Gruppe keine höhere Auffälligkeit bei Straftaten, sei für Berlin angesichts der Zahlen nicht haltbar. „Richtig ist, dass es in der Gruppe ,Zuwanderer’ erheblich mehr Tatverdächtige gibt als bei den deutschen Staatsbürgern, und zwar auch unabhängig von Alter und Geschlecht.“ Luthe betonte aber: „Straftaten sind individuell zurechenbar und nicht einer Gruppe.“ Ursachenforschung und Prävention müsse aber diese Zahlen kennen und berücksichtigen, wenn die Politik angemessen reagieren wolle.
In der Debatte um die Verdächtigen-Statistiken werden verschiedene Punkte kritisiert: Als nichtdeutsche Verdächtige werden bei Straftaten auch Touristen, Lastwagenfahrer, Wanderarbeiter und reisende Diebe erfasst, die nicht in Berlin gemeldet sind, aber die entsprechenden Kennzahlen bei den Verdächtigen hochtreiben. Das lasse aber keine Rückschlüsse auf die in Berlin gemeldeten Ausländer zu, so die Kritiker.
Zudem gebe es das sogenannte Anzeigeverhalten, wie Christian Pfeiffer, der frühere Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts in Niedersachsen, kürzlich im „Spiegel“ zitiert wurde. Je fremder ein Täter wirke, desto eher werde er angezeigt.
Sozial-Experten argumentieren, Zuwanderer seien anfangs nicht integriert, würden kein Deutsch sprechen, hätten kaum Geld, keine Arbeit und viel Zeit – alles Einzelfaktoren, die zusammengenommen zu mehr Kleinkriminalität führen könnten. Eine gute Integration und ein Job würden diese Probleme aber lösen. Andreas Rabenstein
Andreas Rabenstein
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: