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Brandenburg: Zwischen Auenwäldern und Staustufen

Kurz vor EU-Erweiterung streicht Polen „Natura 2000“-Projekte an Oder / Neue Konflikte befürchtet

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Kurz vor EU-Erweiterung streicht Polen „Natura 2000“-Projekte an Oder / Neue Konflikte befürchtet Von Jörg Schreiber Lubiaz/Malczyce. Ein Kormoran kreist über dem gemächlich dahinströmenden Fluss. Auf dem schilfbedeckten Schwemmland am Ufer watet ein Storch. Hier im 515 Hektar großen Reservat „Odrzyska“ bei Lubiaz (Leubus) an der mittleren Oder zwischen Wroclaw (Breslau) und der deutschen Grenze ist die Welt noch in Ordnung. Piotr Nieznanski holt eine Wassernuss aus dem seichten Nass eines Oder-Altarms. Die von einer harten Schale umhüllte Wasserfrucht sei sehr selten geworden, sagt der Pole, der für den World Wide Fund for Nature (WWF) das Oder-Projekt leitet. Der Strom ist bis heute auf langen Strecken weitgehend naturbelassen, weil es in den vergangenen 50 Jahren kaum größere Investitionen gegeben habe. So hätten sich im Mittellauf der Oder auf 100 Kilometer Länge die einst für viele europäische Flüsse typischen Auenwälder erhalten, eines der größten zusammenhängenden Gebiete auf dem Kontinent, sagt Nieznanski. Doch die Idylle ist nach Ansicht der Umweltschützer bedroht. Die anstehende EU-Erweiterung bringe neue Interessenkonflikte zwischen Naturschutz und Infrastrukturentwicklung, sagt Peter Torkler, Referent für EU-Erweiterung beim WWF Deutschland. Es gebe Befürchtungen, dass europäische Fördergelder für „zweifelhafte Projekte“ eingesetzt werden. Vor allem der Bau neuer Verkehrswege und der im polnischen Programm „Odra 2006“ geplante Ausbau der Oder für die Schifffahrt könne sich negativ auf die Natur und die Artenvielfalt auswirken. Warschau muss nach dem EU-Beitritt im Mai Biotope mit bedrohten und geschützten Tier- und Pflanzenarten für das EU-Netzwerk „Natura 2000“ melden, sagt Nieznanski. Der WWF habe die Oder gemeinsam mit polnischen Umweltverbänden kartiert und dabei herausgefunden, dass an 45 Prozent des Oderlaufs solche Biotope vorkommen, an der mittleren Oder seien es sogar 70 Prozent. Dennoch stelle Warschau die dortigen Auenwälder nicht wie vom WWF vorgeschlagen komplett unter Schutz. Im Gegenteil: Vor wenigen Tagen habe die Regierung sogar fast alle der 18 von den Umweltschützern für die Oder angemeldeten „Natura-2000-Biotope“ von der nationalen Liste gestrichen. Das habe politische und wirtschaftliche Gründe, sagt Nieznanski. Denn Polen halte trotz der Streichung mehrerer geplanter Staustufen an dem Oderausbauprogramm „Odra 2006“ fest. Bei Malczyce nur wenige Kilometer oberhalb des „Odrzyska“-Reservats ist das Flussbett auf 1,5 Kilometer Länge zur Baustelle geworden. Kipper karren unablässig Steine und Erde in die staubige, ihrer Vegetation beraubte Landschaft. Die rund 86 Meter breiten Betonfundamente zweier Wehre sind bereits zu erkennen. Hier entsteht bis 2009 eine 10 Meter hohe Staustufe, erläutert Bauinspektor Andrzej Szczepanik. Das rund 90 Millionen Euro teure Bauwerk – nach Angaben des WWF die europaweit größte gegenwärtig im Bau befindliche Staustufe – werde den Wasserspiegel um mehr als 4 Meter anheben und damit die Schiffbarkeit der Oder auf 17 Kilometer Länge verbessern. Zudem könne die Stauwand bis zu zwei Millionen Kubikmeter Wasser zurückhalten. Noch zwei weitere solcher Staustufen seien mindestens nötig, sagt Szczepanik. Die Umweltschützer halten dem entgegen, dass das umstrittene Vorhaben nicht nur Natur zerstört und wertvolle Auenwälder trockenlege, sondern die Hochwassergefahr flussabwärts – also auch im deutschen Oderabschnitt – sogar verschärfe. Selbst der Bauinspektor muss einräumen, dass die Staustufe von Malczyce eine Jahrhundertflut wie 1997 niemals hätte aufhalten können. Dazu sei der damalige Wasserdurchlauf von 3600 Kubikmeter pro Sekunde viel zu groß gewesen, normal seien 170 Kubikmeter. Ein Ausbau der Oder für die Schifffahrt lohne sich angesichts der relativ geringen Transportmengen nicht, sagt WWF-Sprecher Ralph Kampwirth und begründet: „Die ökologischen Kosten stehen in keinem Verhältnis zum ökonomischen Nutzen.“ Statt dessen orientieren die Umweltschützer auf die Wiedergewinnung früherer Überflutungsflächen. Unweit des „Odrzyska“-Reservats wolle der WWF ein Modellprojekt starten, sagt Nieznanski. Durch Rückverlegung der Deiche könnte hier ein 670 Hektar großes Überschwemmungsgebiet entstehen. Auch an anderen Abschnitten werde versucht, natürliche Überflutungsflächen zurückzugewinnen. Dann wären die Gebiete auch am deutschen Oderufer besser geschützt.

Jörg Schreiber

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