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Uwe Reinhardt aus Potsdam begann mit dem Spiel Ingress, weil der Arzt ihm nach einer Lungenentzündung Bewegung an frischer Luft empfohlen hatte.

© Manfred Thomas

Ingress-Spieler in Potsdam: 1000 unsichtbare Tore

Das Smartphone-Spiel Ingress erfreut sich auch in Potsdam wachsender Beliebtheit. Die Stadt ist voller unsichtbarer Spielportale.

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Potsdam - Ein sonniger Nachmittag auf der Brandenburger Straße: schlendernde Touristen, Familien mit Kinderwagen, rammelvolle Cafés. Kaum vorstellbar, dass hier in diesem Moment ein erbitterter Kampf zwischen zwei mächtigen Parteien tobt – den „Erleuchteten“ und dem „Widerstand“. Doch genau so ist es: Beide Gruppierungen sind permanent damit beschäftigt, Portale und Territorien anzugreifen, zu erobern und miteinander zu verbinden.

Der Potsdamer Uwe Reinhardt ist ein Veteran des „Widerstands“. Mit dem Smartphone in der Hand zeigt er auf eine Hausfassade mit markantem Blumenornament an der Ecke Jägerstraße/Brandenburger Straße: „Da oben ist das Portal. Ich könnte es jetzt zerstören, man schießt zwei, drei Mal und dann ist es weg“, erklärt der Mathe-Physik-Lehrer. „Es gibt einige Portale in der Innenstadt, die wechseln stündlich zwischen grün oder blau.“ Rund tausend solcher unsichtbaren Tore gibt es in Potsdam. Sehen kann sie, wer ein Smartphone hat und darauf das Online-Spiel „Ingress“ installiert hat.

Zehn Millionen Spieler weltweit, 100 bis 150 in Potsdam

Das 2013 von der Google-Tochter Niantic Labs veröffentlichte Computerspiel für draußen klingt simpel und ist es auch: Durch die Gegend laufen, digitale Munition sammeln, gegnerische Gebiete erobern, Punkte einheimsen – eine Hintergrundstory existiert zwar, ist beim Spielen aber unwichtig. Beide Parteien unterscheiden sich eigentlich nur durch die Farbe. Gut zehn Millionen Spieler gibt es weltweit, in Potsdam seien es rund 100 bis 150, schätzt Reinhardt.

Auf den ersten Blick wirkt Ingress unbefriedigend: Die „Erleuchteten“ – im Ingress-Jargon wegen ihrer grünen Farbe „Frösche“ genannt – erobern ein Portal, der „Widerstand“ – alias „Schlümpfe“ – erobern es zurück, und so weiter. Ein richtiges Spielziel gibt es nicht. Doch für Reinhardt und viele andere Spieler geht es um ganz andere Dinge: „Der Reiz ist, draußen herumzulaufen, Orte zu entdecken und zu schauen, wie ich da hinkomme.“

Als Spieler über die Ingress-Karte

Wer das Spiel startet, sieht zunächst eine schwarze Karte, auf der der ganz normale Stadtplan der Umgebung zu sehen ist. Doch über die ganze Karte verteilt sind grün oder blau leuchtende Punkte und Portale, die zum Teil mit Linien verbunden sind. Das GPS-Signal des Smartphones erkennt, wo man sich befindet, so dass man sich wie eine Spielfigur über die Ingress-Karte bewegt, wenn man durch die Gegend wandert. Ist man mindestens 30 Meter nah an einem Portal dran, kann man es beschießen oder dessen Abwehr stärken. „Am besten ist es, wenn man zu Fuß unterwegs ist“, sagt Reinhardt. „Wenn man sich schneller als mit 50 Stundenkilometern bewegt, ist keine Aktion mehr möglich.“

Der Potsdamer ist vor zweieinhalb Jahren eher zufällig zum Ingress-Fan geworden: „Ich bin durch eine Lungenentzündung zum Spiel gekommen.“ Der Arzt empfahl ihm eine Tätigkeit, bei der er sich viel an der frischen Luft bewegt – genau das tut man bei Ingress ständig. Reinhardt fand Gefallen daran, an manchen Wochenenden ging er sechs bis sieben Stunden pro Tag auf Portaleroberung. „Selbst im Winter bin ich viel herumgelaufen und hab zehn bis zwölf Kilo abgenommen.“

Ungewöhnliche Orte entdecken

Mittlerweile betreibt Reinhardt das Ganze nicht mehr so intensiv, aber nach zwei Jahren hatte er schon über 2000 Kilometer beim Ingress-Spielen zurückgelegt – zu Fuß. Da die meisten Portale von Spielern selbst erstellt werden, sind diese häufig an markanten Stellen platziert – Orte wie Friedhöfe oder unzugängliche Plätze sind tabu. Durch das Spielen habe Reinhardt etwa in Sanssouci schon Orte entdeckt, von denen er noch gar nichts wusste, Gleiches gilt für Insider-Sehenswürdigkeiten in fremden Städten, denn im Urlaub spielt er natürlich auch. Er selbst hat auch schon Portale erstellt, eines liegt auf einem Alpen-Gletscher: „Das hat noch keiner eingenommen“, sagt Reinhardt grinsend.

Das Konzept hat seine Tücken: Nach Protesten von Holocaust-Überlebenden gegen das Smartphone-Spiel hat sich Google öffentlich entschuldigt. Die Nazi-Opfer hatten sich daran gestört, dass KZ-Gedenkstätten in Deutschland und Polen als Spielfelder für Ingress benutzt worden sind. Die Spielorte wurden daraufhin gelöscht.

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