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1600 Menschen demonstrierten im vergangenen November für mehr Freiräume für junge Potsdamer (Bild oben). Dazu gehören schon heute die Zeppelinstraße 29 (Bild unten rechts) und das Olga in der Charlottenstraße. Am 6. Juni soll wieder demonstriert werden.

© A. Klaer

Landeshauptstadt: 20 Felder zurück zum Waschhaus

Die alternative Jugendszene der Stadt bringt eine Zeitung über ihre Sicht auf Potsdam heraus. Eine Analyse.

Stand:

Eigentlich ein simples Spiel, wer Würfelglück hat, kann seine Figur schnell über 60 Felder rücken. Wer dabei auf bestimmte Punkte kommt, darf erneut würfeln oder muss zurück. Doch wegen den ungewohnten Beschriftungen ist dieses Spiel anders. „Wegen dem Stadtschloss- Bau fehlen Gelder für wirklich wichtige Dinge – zweimal aussetzen“, heißt es einmal. Oder: „Du stehst vorm Spartacus. Der ist geschlossen. Für immer? – 20 Felder zurück zum Waschhaus.“ Oder: „Eine kraftvolle Demo zwingt die Verwaltung zu Zugeständnissen. Wir rücken dem Ziel einer lebenswerten Stadt näher – Abkürzung, zehn Felder vor.“

Zu finden ist dieses Spiel auf den Innenseiten von „Hallo Potsdam“, einer 28-seitigen Zeitung, die in den kommenden Tagen 40 000 Mal in Potsdam verteilt werden soll. Es ist ein bislang einmaliges Projekt für Potsdam. Denn das Blatt aus der Hand einer „Initiative Kritisches Potsdam“ setzt sich mit der Diskussion auseinander, die die Landeshauptstadt seit mehr als einem Jahr beschäftigt: Der Forderung nach mehr Freiräumen für junge Menschen, gerade aus Subkulturen und der alternativen Szene. Eine Groß-Demo im vergangenen November mit 1600 Teilnehmern war eine Antwort, der nun ein weiterer Protestmarsch in dieser Größenordnung folgen soll. „Lebensräume statt Schlossträume“ heißt das Motto am Samstag in einer Woche. Auch als Werbung dafür ist die Zeitung aufgelegt worden.

Das A4-Heft bietet dabei Einblicke in das Selbstverständnis eines großen Teils von Potsdamer Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die bei allen Unterschieden eines eint: Ihre Vorstellungen sind ein Gegenentwurf zu einem allzu schicken, einem allzu exklusiven Potsdam. Und ihre Klubs, Cafés und Wohnprojekte sehen für bürgerliche Augen meist schmuddelig aus. Doch Läden wie das Archiv-Jugendzentrum in der Leipziger Straße oder das studentische Kulturzentrum KuZe in der Hermann-Elflein-Straße sind für hunderte Potsdamer Jugendliche und junge Erwachsene wohl gerade wegen ihres urigen Charmes anziehend, die Veranstaltungen häufig gut besucht. Sie alle stellen sich mit ihren Erfolgen und Problemen in „Hallo Potsdam“ vor, 15 Initiativen und Häuser. Dazu kommen kritische Beiträge zu Potsdams Stadtentwicklung vom Griebnitzsee-Streit bis zu den steigenden Mieten, im Ton angesiedelt zwischen interessant, provozierend, amüsant, verbiestert, betroffen und grenzwertig. Und manches ist überraschend. So ist eine Bitte an TV-Moderator Günther Jauch abgedruckt, warum er nicht auch Geld für die Potsdamer Soziokultur spende. Jauchs Antwort ist freundlich, aber bestimmt: Weil er nicht überall helfen könne und gern selbst entscheide, wo er sich für soziale Zwecke engagiere, wird er zitiert: „Überdies zahle ich gern und regelmäßig Steuern und hoffe, dass die Stadt Potsdam damit die richtigen Prioritäten setzt.“

Selbst Oberbürgermeister Jann Jakobs hat sich für das Heft interviewen lassen, er und der Fragensteller liefern sich beinahe ein Streitgespräch über Potsdam. Und Jakobs stellt darin zur sanierten und viel beschimpften Schiffbauergasse selbstkritisch fest, dass diese „offensichtlich den Bedürfnissen der nachkommenden Generation nicht mehr gerecht wird.“ Entsprechend kommt das Waschhaus nicht mehr im Reigen soziokultureller Objekte vor.

Dafür zeigen sich Häuser, die sonst auf Öffentlichkeit keinen Wert legen. Etwa die Zeppelinstraße 29; oder La Datscha, die seit vergangenem Herbst besetzte Villa neben der Humboldtbrücke. Doch sind die Aussagen beider Beiträge eher sparsam: Die Zeppi 29’er wollen „selbstbestimmtes Zusammenleben“. Und die Datschaner freuen sich, dass sie ihr Haus ohne „bürokratische Regeln“ selbstständig verwalten können. Nicht jedem in Potsdam werden solche Aussagen gefallen. Noch angreifbarer aber ist ein Beitrag, der ausgehend vom Schulattentat in Winnenden über die „Möglichkeiten eines gewaltigen revolutionären Flächenbrandes durch Jugendliche in Potsdam“ sinniert. Doch zeigen solche und andere Beispiele auch, wie verschieden radikal, intelligent, transparent und selbstkritisch diese Bewegung tickt, die bald erneut in Potsdams Innenstadt demonstrieren will.

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