Sport: „2004 wird es harte sportpolitische Kämpfe geben“
Lutz Henrich, Vorsitzender des Potsdamer Stadtsportbundes: 36 Euro pro erwachsenem Sportler für die Stadt gefährdet viele Sportvereine
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Lutz Henrich, Vorsitzender des Potsdamer Stadtsportbundes: 36 Euro pro erwachsenem Sportler für die Stadt gefährdet viele Sportvereine Lutz Henrich, kann der Stadtsportbund Potsdam auf ein erfreuliches Jahr 2003 zurückblicken? Im Großen und Ganzen ja. Wir sind stolz auf die Leistungen der Potsdamer Sportler in diesem Jahr, freuen uns beispielsweise über die Erfolge der Fußballerinnen, Kanuten, Judoka, Ruderinnen und Leichtathleten im Leistungssport. Unser Stadtsportbund gehört zu denen im Land Brandenburg, die – entgegen dem gesamtdeutschen Trend – einen Mitgliederzuwachs verzeichneten. Die Anzahl unserer Mitglieder wuchs seit dem vorigen Jahr von 18 000 auf 18 630, die unserer Vereine von 118 auf 122. Wobei die Sportvereine der zur Stadt gekommenen bisherigen Umlandgemeinden noch nicht eingerechnet sind. Nun sollen auch diese Sportler so schnell wie möglich in unsere Arbeit einbezogen werden. In den jetzigen neuen Ortsteilen war bisher die Nutzung von Sportstätten nicht immer kostenlos. Wird es jetzt eine einheitliche Regelung geben? Wir sind derzeit mit der Stadt dabei, die grundsätzlichen Dokumente neu zu erarbeiten. Das sind die Satzung zur Sportförderung, die Sportanlagen-Nutzungs- und Vergabeordnung sowie die Richtlinien über die Vergabe von Sportfördermitteln der Stadt Potsdam. Bisher konnten Potsdams Sportler die Sportstätten der Stadt kostenlos nutzen. In der neuen Sportanlagen-Nutzungs- und Vergabeordnung heißt es nun, von jedem förderfähigen Sportverein in städtischen Sportanlagen werde ein Sachkostenbeitrag von jährlich 35 Euro für volljährige Vereinsmitlieder erhoben. Davon ausgenommen bleiben sollen nur jene Vereine, die bereits Mieten oder Pachten zahlen oder die die Betriebskosten für die Sportanlagen selbst zahlen. Wie ist das zu verstehen? Zu verstehen ist das gar nicht, und wir als Interessenvertreter der Potsdamer Sportvereine können mit diesem Ansinnen der Stadt – bei allem Verständnis für ihre finanziell komplizierte Situation – absolut nicht einverstanden sein. Wir gehen deshalb davon aus, dass das Jahr 2004 gekennzeichnet sein wird von harten sportpolitischen Kämpfen zwischen den Vereinen auf der einen und der Stadtverwaltung auf der anderen Seite. Wir müssen unbedingt daran erinnern, dass Potsdams Sportvereine einen gültigen Vertrag mit der Stadt haben. Wir bezahlen jährlich zunächst 100 000 D-Mark, inzwischen 50 000 Euro in die Stadtkasse. Dafür wurde bereits von den Vereinen ein spezieller, nach ihrem Anteil an Kindern und Jugendlichen errechneter Beitrag erhoben. Nun will die Stadt 350 000 bis 360 000 Euro über die Sportvereine einnehmen. Das zu realisieren ist aber unmöglich. 35 Euro im Jahr sind pro Monat knapp drei Euro mehr für jeden Erwachsenen Die Rechnung kann man so nicht aufmachen, denn die Summe käme auf die Vereine zu, die sowieso schon unter schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen ihrer gesellschaftlich wichtigen Aufgabe nachgehen. Ein Verein kann seine ohnehin schon vorhandenen Mitgliedsbeiträge nicht pauschal für alle Erwachsenen erhöhen, sondern muss auch differenzieren, beispielsweise zwischen Gutverdienenden, Arbeitslosen und Behindertensportlern. Der SC Potsdam als größter Verein der Stadt hat 1385 erwachsene Mitglieder. Demnach will die Stadt 2004 vom Sportclub 48 475 Euro haben. Was wäre die Folge, falls dieser Beschluss über jährlich 35 Euro durchkäme? Unsere Berechnungen sagen, dass durch die angestrebte Neuregelung etwa fünfzig Prozent der Vereine große Schwierigkeiten hätten zu überleben. Es ist ja nicht so, dass von diesem Beschluss nur Erwachsene betroffen wären. Es besteht die reale Gefahr, dass sich ein Teil von ihnen zurückzieht und sagt: Unter den Umständen können wir nicht mehr. Die Erwachsenen finanzieren mit ihren Beträgen aber zum großen Teil den Sport der Kinder und Jugendlichen, die deutlich weniger zahlen, aber das meiste kosten: durch das Training, die Wettkampfkosten, den Ligabetrieb, in dem viele von ihnen stehen. Mit der Neuregelung gefährdet man direkt den Kinder- und Jugendsport der Stadt. 2002 war Potsdam als Sportstadt ausgerufen. Wird 2004 zum Todesjahr des Potsdamer Sports? Der Begriff Todesjahr wäre etwas übertrieben formuliert, aber wir dürfen die von der Stadtverwaltung angestrebte Neureglung auf keinen Fall zulassen. Wie wollen Sie die verhindern? Wir werden unseren Stadtsporttag von März auf Februar vorziehen, denn der Beschluss der Gebührenordnung über 35 Euro pro erwachsenem Sportler soll im März in die Stadtverordnetenversammlung eingebracht werden. Bis zum Stadtsporttag müssen wir zu klaren Positionen finden, wie wir dazu stehen und wie wir dagegen vorgehen wollen. Ob wir beispielsweise demonstrieren oder welche Maßnahmen sonst vorgeschlagen werden. Wir haben schon oft über Solidarität der Sportvereine untereinander gesprochen. Und 2004 wird es auf diese Solidarität besonders darauf ankommen. Sonst wird es große Einbrüche im Sportleben der Stadt Potsdam geben. Was unserer Meinung nach auch fatale soziale Folgen hätte. Inwiefern? Sport hat eine große soziale Komponente. Potsdams Sportvereine haben derzeit 6280 Kinder und Jugendliche in ihren Reihen, die hier eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung finden. Durch das Vereinsleben wird außerdem die Sozialisation der Kinder und Jugendlichen vorangebracht. Wichtig finden wir aber auch unsere Arbeit im Jugendhilfeausschuss, dessen Wirken wir durch die Koordinierung mit den anderen Aktivitäten der Jugendarbeit zu verbessern helfen. Im neuen Jugendförderplan 2004 der Stadt sind wir mit zahlreichen Projekten verankert. Wir machen beispielsweise viele sportliche Angebote an Kinder und Jugendliche, die soziale oder andere besondere Probleme haben, und sind auch für viele freie Träger in ihrer Jugendarbeit ein echter Partner. Wir leisten einen wichtigen Beitrag zur Gesunderhaltung der Menschen, der immer bedeutender wird. Man erwartet von den Sportvereinen mehr Angebote im Gesundheitssport und dadurch eine Entlastung der Krankenkassen. Wir kümmern uns in den Sportvereinen auch zunehmend um Senioren, deren Zahl ebenfalls wächst und die durch den Sport auch aus drohender Vereinsamung finden. Unter all diesen Aspekten sollte sich die Stadt Potsdam die Frage stellen: Was ist uns dieses Gesamtpaket wert? Da sollte man sich genau überlegen, ob man agiert oder reagiert. Unserer Meinung nach ist Reaktion immer teurer als Aktion – ob im Kinder- und Jugendbereich oder im Gesundheitsbereich. Die Kosten für die Stadt werden letztlich höher, wenn die Arbeit der Sportvereine nicht funktioniert. Das wäre sozusagen ein Eigentor. Bleiben wir beim Thema Geld: Wie war die finanzielle Unterstützung durch die Stadt in diesem Jahr? Eigentlich hatten wir die finanzielle Zusage der Stadtverordneten, dass die Sportförderung ebenso wie 2002 insgesamt 179 000 Euro betragen sollte. Im Haushalt waren dann aber nur 165 000 Euro, wobei wir die Zusage der Beigeordneten Frau Fischer hatten, dass die Differenz von 14 000 Euro Differenz durch ihr Dezernat ausgeglichen werden sollte. Von den 165 000 Euro fallen aber wegen der Haushaltssperre dreieinhalb Prozent weg. Somit sind wir bei 159 225 Euro, und die schon zugesagten 14 000 Euro werden wir auch nicht sehen. Das ergibt gegenüber 2002 ein Minus von 19 775 Euro. Dazu kommt die Kürzung der Gelder aus Hauptstadtmitteln. Wir haben viel weniger bekommen, als vom Ministerium vorgesehen war. Ursprünglich waren von 500 000 Euro Hauptstadtmitteln zwanzig Prozent für den Sport vorgesehen, aber wir haben nur sieben Prozent erhalten. Was bedeutet das für den Sport in Potsdam? Das Geld, das wir den Vereinen pro Kind für die Kinder- und Jugendarbeit zur Verfügung gestellt haben – für uns eine sehr wichtige Größe –, haben wir im vollen Umfang entsprechend der Möglichkeiten der Sportfördersatzung ausgeschöpft. Im vorigen Jahr waren wir stolz, dass wir den vielen ehrenamtlichen Übungsleiter erstmals eine Bezuschussung zahlen konnten. Das wird in diesem Jahr durch die finanziellen Streichungen der Stadt in beträchtlich geringerem Maße als 2002 möglich sein. Außerdem wurden von uns bisher Zuschüsse beispielsweise für die Anschaffung bestimmter Kleingeräten gezahlt. Das wird in diesem Jahr drastisch reduziert. Welche finanziellen Zusagen gibt es bisher für 2004? Für das nächste Jahr sollen für den Sport die gleiche Fördersumme wie 2003 ohne die diesjährige Streichung, also 165 000 Euro, in den Finanzplan eingestellt werden. Wie soll Potsdams Sport die geringere finanzielle Förderung und die neue, hohe finanzielle Forderungen der Stadt verkraften können? Die Existenz vieler Vereine wird gefährdet, was man sich leicht ausrechnen kann. Wenn ein Verein jetzt hohe zusätzliche Kosten aufbringen muss, um die gleichen Dinge – Kinder- und Jugendsport, Vereinssport, Wettkampfsport – wie bisher zu betreiben, ist eine neue Beitragsordnung für jeden Verein unausweichlich, denn Sponsoring in den nötigen Größenordnungen ist für alle betroffenen Sportvereine in Potsdam nicht machbar. Wir müssen ganz klar sagen: Der Abschied von einer entgeldfreien Nutzung der Sportanlagen ist eine sportpolitische Entscheidung durch die Stadt, die einschneidende Veränderungen für den gesamten Sportbetrieb in Potsdam bedeutet. Kommen wir zur unmittelbaren Arbeit Ihres Stadtsportbundes. Wie sieht die aus? Unsere Hauptaufgabe als Stadtsportbund ist die Interessenvertretung der Potsdamer Sportvereine. Für die Realisierung dessen haben wir seit diesem Jahr mit der Dokumentation „Perspektiven der Sport- und Sportstättenentwicklung der Stadt Potsdam“, die durch die Universität Potsdam, die Stadt und uns gemeinsam erstellt wurde, eine wichtige Arbeitsgrundlage. Und zwar in mehrfacher Hinsicht. Erstens wird der Zustand der Potsdamer Sportstätten eindeutig beschrieben. Daraus sind konkrete Aufgaben auch der Verwaltung und des Sportausschusses der Stadt Potsdam abzuleiten, nämlich eine Prioritätenliste zu erarbeiten, in welcher Reihenfolge und mit welchen finanziellen Mitteln die Sportstätten wieder in Ordnung gebracht werden, übrigens auch im Zusammenhang mit dem Schulsport. Zweitens wurden für die Dokumentation die differenzierten Bedürfnisse der Potsdamer Bevölkerung befragt. Schwimmen, so das Ergebnis, steht beim individuellen Sport der Bürger an erster Stelle, was für uns eine Grundlage bei der Diskussion um die Schwimmhallen in der Stadt war und ist. Und drittens wurde bei den Sportstätten nach den Richtlinien des Goldenen Planes Ost vorgegangen. Wir streiten uns also nie wieder mit Politikern beispielsweise darüber, ob wir zu viele oder zu wenige Schwimmhallen haben, zu viele oder zu wenige überdachte oder nicht überdachte Sportstätten. Wir orientieren uns nach diesen Richtlinien für die ostdeutschen Bundesländern und können ganz grob sagen, dass Potsdsam im Limit liegt. Sowohl mit den Schwimmhallen als auch mit den Sportstätten. Es gibt zwar noch ungerechtfertigte Unterschiede zwischen den einzelnen Wohngebieten in der Stadt Potsdam, aber im Groben liegt das Manko nicht in zu wenigen Sportstätten, sondern in deren Qualität. Wichtig bleibt auch das Prinzip, dass keine Sportstätte durch die Stadt dicht gemacht werden darf, ohne dass eine Ersatzsportstätte geschaffen wird. Außerdem haben wir als Stadtsportbund in Zusammenhang mit den neu erarbeiteten Dokumenten vor, eine Sportstättenkommission zu gründen. Wie soll die aussehen? Sie soll aus Ehrenamtlichen aus den Vereinen bestehen, die die Kontrolle der Hallen bezüglich Sauberkeit, Auslastung und sportartengerecher Nutzung vornimmt. Wir haben darüber bereits mit der Stadtverwaltung gesprochen, die sich sehr einverstanden damit zeigte. Diese Kommission soll zum Stadtsporttag Ende Februar 2004 ins Leben gerufen werden. Stichwort Schwimmen: Viele Potsdamer wollen schwimmen, die Halle am Stern soll aber geschlossen werden – verträgt sich das denn miteinander? Wir vertreten den Standpunkt, dass Schwimmen wichtig ist sowohl für den Leistungsport, für den wir die Halle im Luftschiffhafen haben, als auch für das Schulschwimmen, den Vereinssport und die Bedürfnisse der Bevölkerung. Und wir haben immer gesagt: Es ist realistisch, dass die Stern-Schwimmhalle geschlossen wird, wenn das Spaßbad in Drewitz gebaut wird. Aber die Brauhausberg-Schwimmhalle wird außerdem unbedingt benötigt. Sie hat für den Wettkampfsport geeignete 50-Meter-Bahnen und ist die Heimstadt von Schwimmern, Tauchern und Wasserballern, um nur einige Gründe zu nennen. Und die Halle im Luftschiffhafen, die der Bevölkerung praktisch nicht zur Verfügung steht, muss für den Leistungsport erhalten bleiben. Mit dem Vorschlag, das Spaßbad am Brauhausberg zu bauen und zugleich die Schwimmhalle am Stern zu schließen, können wir nicht einverstanden sein, weil nur eine Schwimmhalle für Potsdam nie ausreichen würde. Dann lieber das Spaßbad streichen und die Hallen am Stern und am Brauhausberg sanieren. Blicken wir abschließend sportlich voraus: 2004 wird es in Athen Olympische Spiele mit hoffentlich zahlreichen Potsdamer Assen geben. Auf welche sportlichen Highlights können sich die Potsdamer im nächsten Jahr in ihrer Heimatstadt freuen? Neben zahlreichen Veranstaltungen (siehe auch Kasten/d. Aut.) wird es drei große Highlights geben: Die Deutschen Meisterschaften der Triathleten am 19. und 20. Juni, die Leichtathletik-Juniorengala am 23. Mai und der erste Potsdamer Schlösser-Marathon am 13. Juni. Der Marathon liegt uns besonders am Herzen, denn wir als Stadtsportbund sind selbst dessen Veranstalter, was natürlich nur mit der Unterstützung vieler Potsdamer Sportvereine geht. Mit diesem Marathon wollen wir in der Landeshauptstadt eine Veranstaltung installieren, die über die nächsten Jahre hinaus an Bedeutung gewinnen soll. Wir wollen den Marathon zu einer Synthese von Sport- und Marketing-Veranstaltung für Potsdam machen. Wir möchten Leute aus ganz Deutschland – perspektivisch auch aus dem benachbarten Ausland – hierher bekommen, die hier laufen, gleichzeitig aber auch mit ihrer Familie hier ein Wochenende verbringen. Wir planen beispielsweise, mit einigen Partnern eine Bonuskarte anzubieten, die den Marathonläufern und ihren Angehörigen ermäßigte Eintrittspreise – unter anderem für Schlösser, Filmpark und Weiße Flotte – gewährt und die über den Tag des Marathons hinaus gültig bleibt, meinetwegen bis September oder Oktober. Damit wollen wir auf Potsdam neugierig machen und Läufer, die wegen des Marathons nicht die Zeit haben, sich hier alles anzuschauen, dazu bewegen, später noch einmal wiederzukommen. Das Ziel ist also auch ein Marketing-Effekt. Das Interview führte Michael Meyer
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