DER POTSDAMER ARBEITSMARKT IN ZAHLEN: 2006 fanden 9740 Arbeitslose einen Job Bis zur Obdachlosigkeit
2007: Schärfere Sanktionen gegen Arbeitslose / Agentur wird Modellprojekt
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Potsdams Arbeitslosenzahlen waren 2006 so gut wie seit fünf Jahren nicht mehr. Der operative Geschäftsführer der Arbeitsagentur zeigte sich beim gestrigen Pressegespräch zufrieden mit der Entwicklung des Potsdamer Arbeitsmarktes in den vergangenen zwölf Monaten: Durchschnittlich habe die Arbeitslosenquote bei 11,6 Prozent gelegen. 2001 lag die Durchschnittsquote mit 11,2 Prozent das letzte Mal darunter. 9740 ehemals Arbeitslose suchten sich im vergangenen Jahr erfolgreich eine neue Arbeit – darunter auffallend viele junge Menschen. Insgesamt 4480 Potsdamer unter 25 Jahren suchten sich 2006 erfolgreich einen neuen Job. 2102 davon habe die Paga (Potsdamer Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung Arbeitssuchender) vermittelt. Sie gab 2006 mehr als zehn Millionen Euro für Integrationsmaßnahmen wie Weiterbildungen oder Ein-Euro-Jobs aus. Im gesamten Jahr 2006 habe die Paga rund 3000 Potsdamer in Arbeit gebracht, so Geschäftsführer Frank Thomann. Das sind rund 60 Prozent mehr als noch 2005. Damals hatten seine Mitarbeiter 1853 Langzeitarbeitslosen zu einem neuen Job verholfen.
Allerdings wurden in Potsdam im vergangenen Jahr auch 6363 Stellen abgebaut. Das gesamte Jahr über haben 8643 Potsdamer ihren Job verloren. Dagegen sind 9008 Arbeitsplätze geschaffen worden, darunter 3997 Ein-Euro-Jobs. Zudem förderte die Agentur 515 Existenzgründer. just
Teltower Vorstadt - Harte Zeiten für die 5227 Potsdamer Langzeitarbeitslosen: Seit Jahresbeginn drohen ihnen verschärfte Sanktionen – bis hin zum Verlust der Wohnung. Denn die neuen Sozialgesetze erlauben Mitarbeitern der Paga (Potsdamer Arbeitsgemeinschaft zur Grundsicherung Arbeitssuchender), „arbeitsunwilligen“ Hartz-IV-Empfängern das Arbeitslosengeld II nicht nur wie bisher zu kürzen, sondern als letzte Konsequenz auch komplett zu streichen. Auch auf die Miet- und Heizungskosten hätten die Betroffenen dann keinen Anspruch mehr. Statt Geld gibt es für die Betroffenen dann nur Lebensmittelgutscheine.
Paga-Chef Frank Thomann befürwortet die erheblich strengeren Regeln: „Ohne Sanktionen funktioniert es nicht“, so Thomann. Er betrachte sie auch als Erziehungsmittel. Gerade jugendliche Langzeitarbeitslose müssten sehen, dass ihr Verhalten ernsthafte Folgen habe. Mit Sanktionen muss jeder Hartz-IV-Empfänger rechnen, der seine „Pflichten“ verletzt, erklärte Paga-Sprecherin Uta Kitzmann. Diese Pflichten beinhalten beispielsweise, einen angebotenen Job anzunehmen, eine vereinbarte Zahl an Bewerbungen zu verschicken oder etwa Berufsberatungs-Termine nicht ohne triftigen Grund verstreichen zulassen. Nach dem ersten Verstoß innerhalb eines Jahres werde das Arbeitslosengeld-II für drei Monate um 30 Prozent gekürzt, nach dem zweiten um 60 Prozent. Beim dritten Verstoß werde drei Monate lang gar kein Geld mehr gezahlt. Das könnte zur Folge haben, dass sich betroffene Haushalte ihre Miete nicht mehr leisten können, so Kitzmann. Dass es in Potsdam darum Obdachlose geben werde, sei aber „unwahrscheinlich“, so Kitzmann. Die Paga versuche dies zu vermeiden: Zum einen sei das Obdachlosenheim voll. Zum anderen seien die Kosten für einen Heimplatz am Lerchensteig mit rund 580 Euro pro Monat höher als die Mieten für Hartz- IV-Empfänger, die ebenfalls aus der Stadtkasse bezahlt werden müssen. Familien mit Kindern seien zudem von einer derart strengen Maßnahme ausgeschlossen.
Gegen wie viele Langzeitarbeitslose die Paga im vergangenen Jahr Sanktionen verhängt habe, könne er nicht nachvollziehen, sagte Thomann. Diese Daten seien statistisch bisher nicht erfasst worden. Allerdings haben seine beiden Außendienstmitarbeiter bei 2565 Überprüfungen 123 Ordnungswidrigkeiten in Zusammenhang mit Hartz-IV in Potsdam aufgedeckt.
Mit Beginn des Jahres 2007 haben sich jedoch nicht nur die Gesetze geändert, sondern auch das Budget der Paga. Während Potsdam 2006 noch über zu wenig Geld klagte und deshalb zeitweise sogar die Ein-Euro-Jobs stoppen musste, sei die Paga 2007 „sehr viel besser“ vom Bund bedacht worden, so Thomann. Zu der genauen Summe konnte er sich gestern jedoch noch nicht äußern. Im vergangenen Jahr standen der Paga rund zwölf Millionen Euro für Maßnahmen wie Ein-Euro-Jobs zur Verfügung. Weil der Bund knapp drei Millionen Euro davon erst im September überwiesen habe, hätte die Paga nur rund 87 Prozent des Geldes ausgeben können. Die restlichen 1,3 Millionen Euro fließen nun vorerst an den Bund zurück.
Ändern wird sich 2007 außerdem die Adresse, an die sich arbeitslose Potsdamer wenden müssen. Anfang März sollen 400 Mitarbeiter der Arbeitsagentur und der Paga in den 18-Millionen-Euro-Neubau am Horstweg 96 ziehen. Doch selbst in das neue Gebäude passen wahrscheinlich nicht alle Angestellten hinein. Denn die Potsdamer Agentur soll Zuwachs bekommen: Rund 30 neue Arbeitsvermittler könne die Agentur demnächst voraussichtlich einstellen, so Dieter Ecker-Lassner, operativer Geschäftsführer.
Der Grund: Die Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg will ihre Potsdamer Zweigstelle 2007 zur Modellagentur machen. Noch in diesem Monat soll darüber entschieden werden, so Ecker-Lassner. Mit diesem Projekt wolle die Bundesbehörde eine Agentur bei optimaler Personalbesetzung testen. Noch betreue ein Vermittler in Potsdam im Schnitt 150 Arbeitslose, so Agentursprecherin Isabell Wolling. Angestrebt sei, dass er sich nur noch um 70 Personen ohne Job kümmern müsse. Für jeden der 30 neuen Vermittler würde ein zusätzliches Büro benötigt. Die Potsdamer Agentur will die Räume nun eventuell woanders anmieten, so Wolling. Das Mietverhältnis für das Paga-Gebäude in der Heinrich-Mann-Allee sei allerdings bereits gekündigt.
Juliane Wedemeyer
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