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Stapelweise Akten türmen sich auf den Tischen der Justiz. Ein Grund sind fehlerhafte Bescheide des Potsdamer Jobcenters, früher Paga. Über 2000 Klagen sind noch nicht entschieden.

© Michael Gottschalk

Von Henri Kramer: 363 000 Euro nur für Klagen

Potsdams Jobcenter muss wegen zahlreicher Widersprüche gegen Hartz-IV-Bescheide mehr Kosten für Prozesse einplanen

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Eigentlich soll das Potsdamer Jobcenter – bis vor einem Monat Paga genannt – Langzeitarbeitslose bei der Jobsuche unterstützen und ihnen Geld zahlen. Zugleich muss die Potsdamer Hartz-IV-Behörde aber immer mehr Geld für Gerichtskosten einplanen. Im vergangenen Jahr stiegen die Zahlungen für juristische Auseinandersetzungen auf einen neuen Rekordstand, bestätigte jetzt Behördensprecherin Isabel Wolling auf Anfrage: „Für Klage- und Widerspruchsverfahren sowie für Gerichtsgebühren sind im vergangenen Jahr Kosten in Höhe von 363 000 Euro entstanden.“ Im Vorjahr 2009 hätte die Summe noch bei 195 000 Euro gelegen – ein Anstieg um rund 85 Prozent.

Für die massive Steigerung gebe es mehrere Gründe, sagte Wolling. So habe das Potsdamer Sozialgericht die Zahl der dort arbeitenden Beamten „erheblich aufgestockt“. Dadurch seien im vergangenen Jahr zahlreiche Kostenfestsetzungsverfahren, teilweise noch bis ins Jahr 2005 zurückreichend, abgeschlossen worden – teils zu Ungunsten des Jobcenters. Gleichzeitig hätten viele Rechtsanwälte erst 2010 erfolgreiche Widerspruchs- und Klageverfahren aus den Vorjahren gegenüber der vormaligen Paga angerechnet, so Wolling.

Die Zahlen betreffen eine der größten Behörden der Stadt: Im Jobcenter mit Sitz am Horstweg betreuen Stadtverwaltung und Bundesagentur für Arbeit nach aktuellen Statistiken knapp 9000 Bedarfsgemeinschaften mit rund 14 500 Personen, darunter etwa 4500 Arbeitslose: Die Paga – heute Jobcenter – zahlt unter anderem Arbeitslosengeld II aus, übernimmt Mietkosten oder vermittelt Ein-Euro-Jobs.

Die Entscheidungen der Behörde stoßen dabei offensichtlich häufig auf Unverständnis, die Zahl der Widersprüche gegen Hartz-IV-Bescheide ist ungebrochen hoch. 4485 Einwände wurden laut Wolling im zurückliegenden Jahr gezählt, fünf Widersprüche mehr als im Jahr 2009. „Ein Schwerpunkt dabei sind etwa die Kosten für die Unterkunft“, sagte Wolling. Wie schon 2009 ist dabei jeder dritte Widerspruch, den Potsdamer gegen die Bescheide einlegten, auch berechtigt gewesen. In 24 Prozent hätten die Beschwerdeführer auf ganzer Linie gewonnen und dazu in elf Prozent zumindest teilweise Recht erhalten, sagte Wolling. Das waren für die Paga sogar mehr Niederlagen als 2009: Damals waren 21 Prozent der Widersprüche völlig gerechtfertigt und zwölf Prozent zum Teil.

Allerdings hatte die Paga 2010 bei den juristischen Auseinandersetzungen mehr Erfolg als noch im Vorjahr. So hatten 2009 die Paga-Kunden noch in 64 Prozent der Verfahren gewonnen, nur das restliche Drittel der Fälle konnte die Hartz-IV-Behörde für sich entscheiden. Im Jahr 2010 pendelte sich dieses Verhältnis auf 51 zu 49 Prozent zugunsten der Kunden. Und auf eine weitere Zahl machte Wolling aufmerksam: Gegen jeden dritten Widerspruchsbescheid hätten Kunden auch geklagt.

Die Gründe für die hohe Fehlerquote sind nach Angaben aus dem Jobcenter vielfältig. Angeführt werden Qualifikationsdefizite, die durch wechselndes Personal verschärft würden. Auch gelten die Hartz- IV-Gesetze als handwerklich mangelhaft und bürokratisch aufgebläht. Ebenso eine Rolle spielt – gerade in Bezug auf die häufigen Klagen –, dass Kläger selbst bei Niederlagen am Sozialgericht keine Prozesskosten fürchten müssten. So hätten sich spezialisierte Anwaltsbüros einträgliche Nischen mit stetigen Kämpfen gegen Bescheide der Behörde geschaffen, heißt es von leitenden Angestellten in der Hartz- IV-Behörde.

Allerdings schaffen es Gericht und Behörde zumindest schrittweise, die Klagewelle gegen Hartz-IV-Bescheide abzubauen. So waren zum 31. Dezember 2009 noch 2320 Klagen gegen Entscheidungen der früheren Paga anhängig, sagte Jobcenter-Sprecherin Wolling. Zum Jahresende 2010 waren es noch 2008 Verfahren – ein leichter Rückgang um etwas mehr als 13 Prozent. Wolling weiter: „Erstmals seit 2005 ist damit die Zahl der eingehenden Klagen niedriger als die Zahl der erledigten Verfahren“.

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